Berlin (energate) - Die führenden Köpfe des Bundeswirtschaftsministeriums verlegen sich in der Kapazitätsmarkt-Frage auf Mehrstimmigkeit. Auf der einen Seite sieht Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) bei Kapazitätsmärkten vor allem das Interesse der Stromerzeuger an der Konservierung von existierenden Überkapazitäten auf Kosten der Stromverbraucher am Werk (energate berichtete) - was das "Gegenteil von vernünftiger Energiepolitik" sei. Seine Aussagen wurden von den Energiekonzernen und dem Energieverband BDEW so verstanden, als beende Gabriel die von ihm selbst angekündigte ergebnisoffene Debatte über Kapazitätsmärkte (energate berichtete). Diesen Eindruck verstärkte, dass Gabriel zugleich einem Strommarkt das Wort redete, auf dem Preisspitzen und Knappheitssignale möglich sein sollen, die Kraftwerksinvestitionen anreizen. Um die Flanke der Versorgungssicherheit abzudecken, will Gabriel den Strommarkt durch eine "Kapazitätsreserve" ergänzen - "als Hosenträger zusätzlich zum Gürtel", wie er sagt.
Gabriels zuständiger Staatssekretär Rainer Baake (Grüne) bemühte sich indes, den Eindruck zu zerstreuen, Gabriel habe damit einen Schlusspunkt in der Debatte gesetzt, in der die Alternativen "Reform des Energy-Only-Marktes" oder Kapazitätsmechanismus erwogen werden. "Ich nehme für mich in Anspruch, dass die Entscheidung offen ist. Es gibt keine Vorentscheidung", sagte Baake vor der versammelten Energiebranche bei der Handelsblatt-Jahrestagung Energiewirtschaft 2015 in Berlin. Er unterstrich, dass zurzeit sowohl in der Wissenschaft als auch in der Energiewirtschaft selbst keine Einigkeit darüber bestehe, welches die bessere Variante sei. Auch die Politik "blickt oftmals nicht durch".
Zugleich betonte Baake, dass kein unmittelbarer Entscheidungsdruck bestehe. "Wir haben in den nächsten drei bis fünf Jahren kein Kapazitätsproblem, der EU-Binnenmarkt funktioniert immer besser, und die Erneuerbaren wachsen", sagte er. Es gebe im Gegenteil in hohem Maße Überkapazitäten, die weder bei einem Kapazitätsmechanismus noch bei einem reformierten Strommarkt zu halten seien. "Da weiß ich mich mit dem BDEW einig", so Baake. Die Entscheidung für einen Kapazitätsmarkt verlange in jedem Fall einen europäischen Rahmen, führte Baake aus.
Entscheide die Politik sich für eine Reform des Grenzkosten-Strommarkts, müsse dabei klar sein, dass sie auch bei Preisspitzen nicht intervenieren wird. "Wir müssen dann Preisspitzen zulassen, auch wenn wir sie nicht wollen", so Baake. Zum Thema Kapazitätsreserve sagte er, dass diese auf jeden Fall eingeführt werde, egal wie die Entscheidung zwischen Strommarktreform oder Kapazitätsmarkt ausgehe. Er grenzte sie deutlich gegen die "Strategische Reserve" ab, die der BDEW vorschlägt. "Die Kapazitätsreserve darf nicht wie eine Preisobergrenze arbeiten", die ab einem bestimmten Interventionspreis zum Zuge kommt. "Sie darf nur eingesetzt werden, wenn ein Blackout droht", so Baake. Weiterhin kündigte Baake an, dass im Zuge des neuen Strommarktdesigns auch die Netzentgeltsystematik überarbeitet und das KWK-Gesetz novelliert werden sollen. /gk