Bettzüge: "Die fragmentierenden Kräfte der Liberalisierung sind an einem vorläufigen Endpunkt angelangt." (Foto: Fotografie Joachim Rieger/EWI Köln)
Köln (energate) - Der geplante Deal zwischen den beiden Energiekonzernen RWE und Eon beschäftigt den Markt weiterhin. Marc Oliver Bettzüge, Direktor des Energiewirtschaftlichen Instituts (Ewi) der Universität zu Köln, sieht darin den vorläufigen Höhepunkt eines Prozesses, der im Unbundling seinen Ursprung nahm:
"Der komplexe Asset-Tausch zwischen Eon und RWE ist das Ergebnis einer Entwicklung, deren Ausgangspunkt nicht im Jahr 2011, also dem Jahr der "Merkelschen Energiewende" weg von der Kernenergie, sondern eher im Jahr 2005 zu suchen ist. In diesem Jahr nämlich trat die zweite Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes in Kraft. Die damals umgesetzten Maßnahmen - insbesondere der regulierte, von der Bundesnetzagentur überwachte Netzzugang sowie die Entflechtung der Netzbereiche (Unbundling) - haben das Netz erfolgreich neutralisiert. Damit wurde ein wirksamer Wettbewerb auf allen anderen Stufen der energiewirtschaftlichen Wertschöpfung ermöglicht. Das Unbundling war dabei der erste Schritt in der Auflösung des aus der "alten Welt" der Gebietsmonopole bekannten Modells des integrierten Energieversorgungsunternehmens (EVU).
In der Folge wurden die EVU, namentlich auch Eon und RWE, gemäß der unterschiedlichen Wertschöpfungsstufen organisiert. Es gab Erzeugungs-, Handels-, Vertriebs- und Netzgeschäfte. Zwar gehörten diese noch demselben Eigentümer, wurden aber nicht mehr integriert geführt, sondern nur noch auf Konzernebene koordiniert. Aus integrierten Unternehmen waren integrierte Portfolien von Geschäftsbereichen geworden.
Insbesondere für die börsennotierten EVU kam damit die klassische Frage auf, ob das Ganze des Unternehmens noch einen höheren Wert als die Summe der Einzelteile hat. Der Kapitalmarkt hat mit dem sogenannten "Konglomeratabschlag" seit Jahren immer dieselbe Antwort hierauf gegeben. Ein Grund für diesen Abschlag waren die völlig unterschiedlichen Risiko-Ertragsprofile der Geschäfte: Während die Liberalisierung sowohl das Kraftwerksgeschäft als auch die Bewirtschaftung langfristiger Erdgaslieferverträge zu höchst riskanten, phasenweise aber auch außerordentlich profitablen Geschäften gemacht hat, besaßen der Vertrieb und vor allem das Netz nach wie vor die Charakteristika der früheren, ertragsstabilen Versorgergeschäfte.
Die Integration der Wertschöpfungsstufen war unter den Bedingungen des liberalisierten Markts eine zunehmend weniger geeignete Unternehmensstruktur. Aus Sicht des Kapitalmarkts blieb unklar, welchen Mehrwert die gemeinsame Führung der heterogenen Geschäfte bewirken kann. Solange die Cash-Flows aus dem Erzeugungsgeschäft sprudelten, konnten die börsennotierten Unternehmen über diese Sollbruchstelle in ihren Portfolien noch hinwegsehen. Durch den Abschreibungsbedarf infolge des Kernenergie-Ausstiegs sowie den zwischenzeitlichen Verfall der Erzeugungsmargen kamen die Bilanzen jedoch so unter Druck, dass eine substanzielle Rekapitalisierung notwendig wurde. Die Kapitalmarktsicht auf die Geschäfte wurde damit in radikaler Weise relevant.
Die jüngste Vereinbarung zwischen Eon und RWE folgt genau dieser Logik: Eon konzentriert sich auf das Risiko-Ertrags-Profil von Netzen und Vertrieb, RWE auf das gänzlich andere Profil von Erzeugung und Handel. Die fragmentierenden Kräfte, die die Liberalisierung entfesselt haben, sind damit für die börsennotierten ehemals integrierten EVU an einem vorläufigen Endpunkt angelangt. Die Energiewende 2011 war nicht die Ursache dieser Entwicklung. Allerdings hat sie diese in erheblichem Maße beschleunigt." /Marc Oliver Bettzüge
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