Brüssel (energate) - Die EU-Kommission bezweifelt die politische Unabhängigkeit der Bundesnetzagentur. Daher hat sie nun beim Gerichtshof der EU Klage gegen Deutschland erhoben. Die Kommission wirft Deutschland vor, dass die Bundesnetzagentur als dem Bundeswirtschaftsministerium unterstellte Behörde keine von der Politik völlig unabhängigen Entscheidungen treffen könne. "Insbesondere verfügt die Regulierungsbehörde nicht über uneingeschränkte Ermessensfreiheit bei der Festlegung der Netztarife und anderer Bedingungen für den Zugang zu Netzen, da zahlreiche Aspekte der Festlegung in Verordnungen der Bundesregierung geregelt werden", so der Vorwurf. Damit verstoße Deutschland gegen die Vorgaben der europäischen Strom- und Gasrichtlinie des dritten Energiepakets aus dem Jahr 2009.
Brüssel: Unbundling nicht voll umgesetzt
Brüssel wirft Deutschland außerdem vor, die Unbundling-Regeln zur gesellschaftsrechtlichen Entflechtung der Übertragungsnetzbetreiber und der Fernleitungsnetzbetreiber nicht ordnungsgemäß umgesetzt zu haben. Konkret geht es dabei um das Modell des Independent Transmission Operator (ITO), das Deutschland im Zuge der Verhandlungen um das damalige Energiepaket als abgemilderte Version des Ownership-Unbundlings durchgesetzt hatte. Nach aktueller Einschätzung der EU-Kommission entsprechen die Vorschriften für die Unabhängigkeit des Personals und der Unternehmensleitung des ITO nicht in vollem Umfang den EU-Vorgaben. Zudem schließe die Definition des "vertikal integrierten Unternehmens" fälschlicherweise Tätigkeiten außerhalb der EU aus. Aus diesem Grund hatte die EU-Kommission schon im Jahr 2016 ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet (energate berichtete). Nun folgt der Klageweg.
Berlin teilt Auffassung Brüssels nicht
Das Bundeswirtschaftsministerium erklärte auf Anfrage von energate, man habe den Klagebeschluss der Kommission "zur Kenntnis genommen". Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass man die europäischen Vorgaben angemessen in nationales Recht umgesetzt habe. Daher werde sie sich im gerichtlichen Verfahren gegen den Vorwurf der Vertragsverletzung verteidigen. Das Wirtschaftsministerium weist zudem darauf hin, dass ein Vertragsverletzungsverfahren nicht bedeute, dass ein Land tatsächlich gegen europäisches Recht verstoße. Das könne nur der Europäische Gerichtshof feststellen. Der Branchenverband BDEW, der die betroffenen Netzbetreiber vertritt, stellt sich auf die Seite der Bundesregierung.
Der Gesetzgeber müsse die Möglichkeit haben, den gesetzlichen Rahmen für behördliche Entscheidungen zu setzen. "Die dazu erlassenen Gesetze und Verordnungen schränken aus unserer Sicht nicht die Unabhängigkeit der Regulierung ein", so der BDEW. Der Bundesverband Neue Energiewirtschaft (BNE) begrüßte unterdessen das Vorgehen Brüssels. Nach Ansicht des BNE sollte die EU-Kommission mit ihrer Kritik aber nicht nur die Ebene der Übertragungsnetze und Ferngasleitungen adressieren, sondern auch die Verteilnetze. Denn hier bestehe aufgrund des häufig kommunalen Eigentums ein besonderer Interessenkonflikt mit der staatlichen Regulierung. Die Bundesnetzagentur selbst wollte sich nicht äußern. /cs