Berlin (energate) - Beim Erreichen der Klimaziele spielt emissionsfreier Wasserstoff eine wesentliche Rolle. Für die Bundesregierung hat das Thema strategische Bedeutung. Bis Ende des Jahres soll es eine nationale Wasserstoffstrategie geben. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) fuhr am 5. November stilecht im Brennstoffzellen-SUV eines deutschen Herstellers bei der großen Wasserstoffkonferenz der Bundesregierung im Berliner Westhafen vor. Damit machte der Minister auch gleich eines der Probleme der Technologie deutlich: Den Wagen gibt es nicht wirklich zu kaufen, er wird nur in einer Miniserie gefertigt. Die Bundesregierung will das nun ändern, will beim Wasserstoff buchstäblich aufs Gas drücken. Bis Ende des Jahres will sie eine Nationale Wasserstoffstrategie verabschieden. Input dafür sammelten die Bundesministerien für Wirtschaft, Verkehr, Forschung und Entwicklung auf der gemeinsamen Wasserstoffkonferenz von den rund 700 Vertretern aus Industrie, Wissenschaft und Verbänden ein. Das SPD-geführte Umweltressort, eigentlich für das Thema Klimaschutz zuständig, blieb außen vor.
Altmaier: Raus aus der Nische
"Wasserstoff ist supersexy, weil er CO2-neutral erzeugt werden kann", sagte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) zum Auftakt. Es gehe nicht mehr um Forschungsvorhaben, sondern um reale Anwendungen in der Wirtschaft. Wasserstoff habe bisher ein Aschenbrödel-Dasein gefristet, nun gehe es um großtechnischen Fortschritt, so Altmaier. Die Bundesregierung wittert in dem Thema Wasserstoff auch ein neues Exportmodell für die Industrie. Deutschland soll beim Thema Wasserstoff weltweit Nummer 1 werden, forderte der Wirtschaftsminister. Er hoffe, dass in fünf Jahren bereits 5 bis 10 Prozent des Energieverbrauches über Wasserstoff gedeckt werden könnten, möglichst viel davon aus grünen Quellen. Einen ersten Schub in Richtung Markt sollen die
Reallabore der Bundesregierung leisten, in denen Erzeugung und Verbrauch von grünem Wasserstoff praxisnah erprobt werden soll (
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Milliardenförderung
In den jüngsten Klimabeschlüssen hat die Bundesregierung eine milliardenschwere Förderung für Wasserstoffanwendungen vorgesehen: 3,5 Mrd. Euro sollen in den Ausbau der Infrastruktur fließen, 1,5 Mrd. Euro in die Förderung von LKW und Bussen sowie weitere 600 Mio. Euro in die Erzeugung. Zur Wasserstoffkonferenz brachte Verkehrsminister Scheuer zudem eine mit dem Konsortium H2-Mobility unterzeichnete Absichtserklärung zum Aufbau von 100 weiteren Wasserstofftankstellen bis 2020 mit. Mehr als 60.000 Brennstoffzellen-PKW könnten dann theoretisch ab 2021 mit dem Treibstoff versorgt werden. Tatsächlich sind allerdings nur ein paar Hundert Wasserstoffwagen in Deutschland angemeldet. "Wir müssen Wasserstoff endlich auf die Straße bringen", forderte Scheuer. Wobei er dabei vor allem Nutzfahrzeuge, aber auch Züge und Schiffe im Blick hat.
Riesige Nachfrage in der Industrie
Welche Mengen an Wasserstoff im Verkehrssektor landen werden, ist allerdings unklar. Denn in der Industrie- und Chemiebranche zeichnet sich eine riesige Nachfrage ab, die den Markt schnell leer saugen könnte. In den Unternehmen besteht aufgrund der Klimavorgaben enormer Bedarf an emissionsarmen Produktionsmethoden. Allein die Chemiebranche hat in einer aktuellen Studie errechnet, dass 600 TWh an grünem Strom notwendig wären, um den Wasserstoffbedarf der Branche zu decken. Das entspricht dem jährlichen bundesdeutschen Stromverbrauch. Bisher ist der absehbare Energiebedarf für die grüne Wasserstoffproduktion weder in den Annahmen zum Stromverbrauch noch zum Ausbau der erneuerbaren Energien berücksichtigt (
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Absehbar ist ohnehin, dass es beim Thema Wasserstoff ohne Importe nicht gehen wird. Ein erstes Projekt in diese Richtung soll bereits im kommenden Jahr in Marokko starten. Dort hat die Bundesregierung den Bau einer Multi-Megawatt-Solaranlage finanziert. Mit dem dort produzierten Strom soll demnächst der Grundstoff Methanol hergestellt werden, der sich etwa zu Benzin und Diesel beimischen lässt. Nur auf den grünen Weg verlassen will sich Minister Altmaier aber nicht. Auch blauer Wasserstoff, bei dem das bei der Herstellung entstehende CO2 abgetrennt und unterirdisch gespeichert wird, ist für das Wirtschaftsministerium eine Option. Als Partner bieten sich hier Norwegen oder die Niederlande mit entsprechenden CO2-Speichermöglichkeiten an. "Es darf keine Denkverbote geben", so der Minister.
Unternehmen fordern Stromkostensenkung
Bis Ende 2019 wollen die beteiligten Ministerien nun weitere Details der Wasserstoffstrategie ausarbeiten. Viele Unternehmen hoffen auf wirtschaftliche Anreize, denn noch ist grüner Wasserstoff teuer. Die Steuer- und Abgabenlast auf Strom müsse daher sinken, forderte etwa die neue BDEW-Hauptgeschäftsführerin Kerstin Andreae. Minister Altmaier äußerte sich hierzu zurückhaltend, speziell was die Befreiung von der EEG-Umlage angeht. "Wir müssen darauf achten, dass am Ende nicht nur noch ganz wenige die Umlage bezahlen, die ja weiter anfällt." /kw