Wien (energate) - Die Verbund AG bezeichnet sich nicht nur als Österreichs führendes Stromunternehmen, sondern auch als einen der größten Stromerzeuger aus Wasserkraft in Europa. energate sprach mit dem CEO, Wolfgang Anzengruber, unter anderem über ambitionierten Klimaschutz, Versorgungssicherheit und die Bepreisung von CO2.
energate: Herr Anzengruber, die neue Regierung in Wien hat ein Regierungsprogramm vorgelegt, bei dem die Themen Energie und Klimaschutz großen Raum einnehmen. Wie beurteilen Sie das Programm?
Anzengruber: Es gibt zwei Punkte, die mich sehr zufrieden auf das Programm gucken lassen. Der erste ist, dass die wichtigen Themen aus dem Energiebereich - wie die Infrastruktur und alle Formen der Erzeugung - in einem Ministerium gebündelt sind. Das ist ein großer Vorteil. Der zweite Punkt ist, dass es eine klare Zielrichtung gibt. Es bleibt beispielsweise beim Ziel von 100 Prozent erneuerbaren Energien im Stromsektor bis 2030. Die Regierung hat also nichts an Ambition verloren. Im Gegenteil, beim Ziel der Klimaneutralität bis 2040 hat sie sogar draufgelegt. Das ist höchst ambitioniert.
energate: Österreich würde damit zum internationalen Klimaschutzvorreiter. Ist dieses Ziel womöglich überambitioniert?
Anzengruber: Leicht ist die Aufgabe sicherlich nicht, das muss man klar sagen. Vielleicht ist die Frage des Zeitpunktes aber auch gar nicht so wichtig, sondern vielmehr, dass die Regierung ein klares Ziel ausgibt. Alle betroffenen Branchen wissen jetzt, woran sie sich orientieren müssen. Ob das Ziel dann ein paar Jahre früher oder später erreicht wird, ist nicht so entscheidend.
energate: Auffällig ist, dass das Regierungsabkommen ausdrücklich auch die Herausforderung der Energieversorgungssicherheit erwähnt. Ist das Thema aus Ihrer Sicht angemessen adressiert?
Anzengruber: Im Regierungsabkommen steht im Prinzip, dass das Blackout-Szenario ein Szenario bleiben soll. Das ist ein Wunsch, den die Regierung mit Maßnahmen hinterlegen muss. Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob wirklich schon allen Beteiligten bewusst ist, wie groß die Herausforderung der Versorgungssicherheit ist.
energate: Um das Ziel von 100 Prozent erneuerbarem Strom in den nächsten zehn Jahren zu erreichen, sollen vor allem die fluktuierende Wind- und Solarenergie wachsen. Was muss passieren, damit die Versorgung dennoch stabil bleibt?
Anzengruber: Als erstes brauchen wir zusätzliche Infrastruktur, denn ein vollständig regeneratives Stromsystem braucht mehr Netze. Zweitens benötigen wir Intelligenz, denn wir müssen die Flexibilitäten im Netz in Zukunft sehr viel besser steuern. Drittens brauchen wir nicht nur Leistung, sondern auch Versorgungsqualität. Das Stromnetz hat eine Frequenz von 50 Hertz, Abweichungen haben unangenehme Folgen. Viertens brauchen wir Speicher für den saisonalen Ausgleich zwischen Erzeugung und Nachfrage.
energate: Speicher sind in Österreich aber keine Mangelware.
Anzengruber: Sicherlich sind wir mit unseren Pumpspeicherwerken im Vergleich zu anderen Ländern privilegiert. Dennoch werden auch unsere Speicherkapazitäten für den künftigen Bedarf nicht ausreichen. Wir brauchen ein zusätzliches grünes Speichermedium. Wasserstoff ist eine Option.
energate: Sie sprechen von Netzen, Intelligenz und Speichern, aber nicht von Gaskraftwerken. Sind die verzichtbar?
Anzengruber: Keineswegs. Allerdings benötigen wir andere Gaskraftwerke als die heute im Markt befindlichen. Wir werden sehr viel stärker sogenannte Peaker brauchen. Gasturbinen, die bei Bedarf sehr kurzfristig einspringen und bei Engpässen aushelfen. Heute baut aber kein Investor solche Anlagen, weil die Wirtschaftlichkeit fehlt.
energate: Die Antwort könnte ein sogenannter Kapazitätsmarkt sein.
Anzengruber: Viele sagen Kapazitätsmarkt, meinen aber Kapazitätszahlungen, das halte ich für keine gute Lösung. Wenn es ein marktliches Modell gibt, Investitionen in flexible Technologien anzustoßen, würde ich das sehr begrüßen. Denn ohne irgendeine Form von Kapazitätsmechanismus wird es nicht gehen. Unser Vorschlag ist, dass jeder Erzeuger gesicherte Leistung anbieten muss. Das heißt, er steht in der Pflicht, fluktuierende Leistung mit Flexibilitäten zu ergänzen. Das würde die Versorgungssicherheit stützen.
energate: Klare Vorgaben macht die Regierung zum Ausstieg aus fossilen Energien im Wärmemarkt.
Anzengruber: Ja und nein. Im Regierungsabkommen steht, dass Gasheizungen im Neubau ab 2025 verboten sind. Allerdings ist die Verdichtung bestehender Gasnetze auch darüber hinaus noch gestattet. Ich finde es grundsätzlich richtig, einen wertvollen Energieträger wie Gas aus der Wärmeproduktion herauszunehmen. Wir verbrennen ein Produkt mit sehr hoher Energiedichte bei 1.000 Grad und holen dann 25 Grad Raumwärme heraus. Das ist alles andere als effizient. In der Stromerzeugung wird Gas aber noch über Jahrzehnte eine Rolle spielen.
energate: Türkis-Grün will zudem eine CO2-Bepreisung für die Sektoren auf den Weg bringen, die nicht bereits vom europäischen Emissionshandel erfasst werden. Sie befürworten im sogenannten Non-ETS-Bereich eine europäische Lösung. Sehen Sie dafür eine Chance?
Anzengruber: Zunächst ist es gut, dass sich etwas bewegt. Deutschland hat - so wie andere Länder zuvor bereits - eine CO2-Bepreisung beschlossen. Österreich wird folgen, über den Weg einer ökologischen Steuerreform. Ob diese Systeme zusammenwachsen, ist offen. Grundsätzlich würde ich es aber begrüßen, wenn wir wieder wegkommen würden vom Nationalismus in den Energiesystemen. Wir brauchen europäische Lösungen. Das gilt bei der Frage der CO2-Bepreisung genauso wie beim Thema Wasserstoff. Wenn wir unsere Industrien wesentlich mit Wasserstoff versorgen wollen, brauchen wir sehr viel erneuerbare Energie. Die hat kein Land alleine. Deshalb sage ich, wir brauchen den Schulterschluss mit anderen. Alleingänge sind nicht hilfreich.
Das Interview führte energate-Chefredakteur Christian Seelos.