Wien (energate) - Nach den ersten Maßnahmen gegen die Coronakrise müssen Regierungen nun die wirtschaftliche Stabilität herstellen und die Verwundbarkeit der Industrie senken. Die Bedrohung des Klimawandels jedoch bleibt bestehen - und deshalb sollten die kommenden Schritte auch für eine Ökologisierung der Systeme sorgen, so eine Analyse des Wirtschaftsforschungsinstituts Wifo und des Wegener Center der Universität Graz. In dem Papier schlagen die Forscher mehrere Strategien vor, wie mit Soforthilfen die Konjunktur stabilisiert und in weiterer Folge die Wirtschaft ökologischer umgebaut werden kann, und zwar auf österreichischer wie auf europäischer Ebene. Autoren der Studie sind Angela Köppl und Margit Schratzenstaller (Wifo) sowie Stefan Schleicher und Karl Steininger (Wegener Center).
Stillstand hilft dem Klimawandel nicht
Die Analyse räumt zunächst mit einem weit verbreiteten Fehlurteil auf: Das politisch verordnete Stillhalten wegen des Coronavirus senkt zwar kurzfristig die Emissionen, verlangsamt aber keineswegs den Klimawandel. Denn Treibhausgase bleiben teilweise über Jahrhunderte hinweg in der Atmosphäre. Die Konzentration der Emissionen in der Luft bessere sich zwar, "aber auf die globale Erwärmung haben diese kurzfristigen Einsparungen praktisch keine Auswirkungen", schreiben die Autoren.
Entscheidend sei vielmehr die "Emissionsintensität", also Emissionen im Verhältnis zum Wachstum. Hier sei ein Blick auf die Zahlen der Finanzkrise aufschlussreich, so die Analyse. Demnach fiel 2009 das Bruttoinlandsprodukt in Österreich um mehr als vier Prozent. Die Abgasmengen in der Industrie gingen um 14 Prozent und im Energiesektor um über sieben Prozent zurück, im Verkehrssektor blieben sie nahezu gleich. Doch schon ein Jahr später haben alle drei Sektoren wieder ähnlich viele Abgase emittiert wie vor der Krise. In der Industrie sind die Emissionen sogar deutlich stärker gestiegen als ihre Produktionsmengen. Seither gab es bei den Emissionen in Österreich keine nennenswerten Rückgänge mehr. Nach Zahlen des Umweltbundesamtes belaufen sich die jährlichen Abgasmengen derzeit auf über 80 Mio. Tonnen CO2-Äquivalente.
Klimawandel bleibt größte Bedrohung
Während aktuell die Coronakrise den öffentlichen Diskurs dominiert, bewerten Analysen des World Economic Forum oder der jüngste Bericht "World Threat Assessment" der US-Geheimdienste den Klimawandel auch weiterhin als die größte globale Gefahr. Trotzdem seien jetzt Sofortmaßnahmen für die Wirtschaft und den Gesundheitssektor der dringendste erste Schritt, so die österreichischen Wissenschaftler. Hier habe sich zuletzt "ein völlig neues Bild über die Handlungsfähigkeit der Politik" gezeigt: Österreich etwa habe ein Paket von insgesamt 41 Mrd. Euro verabschiedet - mehr als das Doppelte der Maßnahmen nach der Finanzkrise.
Kommende Schritte entscheidend
In dieser ersten Phase seien die Möglichkeiten einer Ökologisierung der Wirtschaft gering. In den folgenden Phasen des "Hochfahrens" werde die Stabilisierung und geringere Verwundbarkeit der Industrie über ihre globalen Lieferketten das zentrale Ziel sein. Dann gebe es aber auch zahlreiche Möglichkeiten, auf eine Dekarbonisierung hinzuwirken, heißt es in der Analyse. Die Autoren plädieren dafür, trotz Corona die Pläne im Regierungsprogramm beim Ausbau der Erneuerbaren, der Energieeffizienz und im öffentlichen Verkehr beizubehalten. So sollte an einer Ökologisierung des Pendlerpauschales ab 2021 und einem CO2-Preis ab 2022 festgehalten werden.
Für Hersteller schlägt die Analyse ein umfangreiches Bonusprogramm vor, wenn sie mit Innovationen ihren Ressourcenverbrauch senken oder sich beim Produktdesign von geplanter Obsoleszenz verabschieden. Besonders emissionsintensive Branchen sollten der Analyse zufolge mit weiteren Abgaben belegt werden, etwa die Autoindustrie mit der Normverbrauchsabgabe (NoVa) und die Luftfahrt mit der Flugabgabe - und zwar obwohl gerade diese Branchen von der Coronakrise besonders schwer getroffen seien.
EU-Ebene: "Grüne goldene Investitionsregel"
Auch die EU kann den Autoren zufolge viel tun, sowohl bei der Resilienz als auch bei der Ökologisierung der Wirtschaft nach der Coronakrise. Neben dem "Green Deal" nennt das Papier Änderungen im Kreditwesen, etwa durch eine Stärkung von "Green Bonds" durch die Europäische Investitionsbank (EIB) und deren Bevorzugung durch die Europäische Zentralbank (EZB). Auch könnte man demnach in Zukunft über eine sogenannte "grüne goldene Investitionsregel" Investitionen eines Landes zur Dekarbonisierung bei der Berechnung der Schulden nach Maastricht-Kriterien unberücksichtigt lassen. Allerdings könnten alle diese Vorschläge am Ende nicht reichen. Am Rande ihrer Studie fordern die Autoren deshalb auch etwas viel Grundsätzlicheres, nämlich "eine kritische Reflexion über den Wohlstand", wie ihn Ökonomien heute weltweit mit immer neuen Gütern und Dienstleistungen anstreben. /Peter Martens