Wasserstoff darf kein Förderthema bleiben, sondern braucht einen Marktrahmen, sagt Katherina Reiche. (Foto: Laurence Chaperon)
Essen (energate) - Am 9. Juli konstituiert sich der neue Nationale Wasserstoffrat. Das Gremium soll die Umsetzung der Nationalen Wasserstoffstrategie begleiten und dabei helfen, Deutschland zu einer der weltweit führenden Wasserstoffnationen zu machen. Wir sprachen mit Katherina Reiche, Vorsitzende der Geschäftsführung des Verteilnetzbetreibers Innogy Westenergie und Mitglied im Wasserstoffrat, über ihre Erwartungen an die Arbeit des Gremiums.
energate: Frau Reiche, Sie sind eines von 26 Mitgliedern im neuen Nationalen Wasserstoffrat. Was versprechen Sie sich von der Mitwirkung in dem Gremium?
Reiche: Nicht alle Sektoren, die Klimaziele erfüllen müssen, sind komplett elektrifizierbar. Gas wird deshalb in der Energieversorgung auf absehbare Zeit eine essenzielle Rolle spielen. Allerdings muss es grüner werden - über Biomethan, synthetisches Gas oder eben Wasserstoff. Ich sehe es als Aufgabe des Wasserstoffrats an, Lösungen aufzuzeigen, wie Wasserstoff zur Dekarbonisierung des Mobilitätssektors, des Industriesektors, des Wärmesektors und der Energiewirtschaft beitragen kann. Einerseits anwenderseitig. Andererseits regulatorisch.
Für mich steht fest, dass wir mittelfristig herausmüssen, aus einem reinen Förderregime. Wir brauchen einen Marktrahmen. Maßnahmen, wie etwa die Einführung einer technologie- und herkunftsoffenen Grüngasquote sowie investitionsfördernde Maßnahmen für Wasserstoffinfrastrukturen können hier wichtige Impulse setzen. Eine weitere Möglichkeit sind CFD-Differenzverträge, die durch einen garantierten CO2-Preis mehr Investitionssicherheit ermöglichen. Dazu will ich meinen Beitrag leisten.
energate: Der Wasserstoffrat soll Empfehlungen zur Umsetzung der Nationalen Wasserstoffstrategie formulieren. In dem Gremium sitzen aber auch Vertreter von Umweltorganisationen, die die Wasserstoffnutzung eher kritisch sehen. Fürchten Sie dadurch eine Blockade?
Reiche: Nein, diese Gefahr sehe ich nicht. Auch die Kohlekommission war sehr heterogen besetzt und doch ist es gelungen, eine gemeinsame Lösung zu finden. Deshalb habe ich keine Zweifel, dass der Wasserstoffrat sehr konstruktiv und lösungsorientiert arbeiten wird. Ich erwarte zum Beispiel eine Debatte darüber, welcher Wasserstoff in Deutschland produziert und genutzt werden soll. Wie viel grün, blau oder türkis? Wir müssen Kompromisse finden.
energate: Sie stehen an der Spitze von Innogy Westenergie, einem der größten deutschen Verteilnetzbetreiber. Welche Rolle kommt auf die Verteilnetze in einer Wasserstoffwelt zu?
Reiche: Es wird Sie nicht überraschen, wenn ich sage, dass die Verteilnetze eine essenzielle Bedeutung haben. Egal, ob es um die Beimischung von Wasserstoff ins Erdgasnetz geht oder um den Aufbau reiner Wasserstoffnetze. Die Verteilnetzbetreiber kennen die Kundenbedürfnisse vor Ort. Die Rolle der dezentralen Stromnetze wird von der Politik seit Langem unterschätzt. Dieser Fehler sollte sich bei den Gasnetzen nicht wiederholen. Der Regulierungsrahmen sollte für Fernleitungs- und Verteilnetzbetreiber gleichermaßen fair sein. Denn ohne eine starke Rolle der Gasverteilnetze wird die Wasserstoffstrategie nicht erfolgreich sein können.
energate: Wie kann der Markthochlauf von Wasserstoff aus Ihrer Sicht gelingen?
Reiche: Der Verbrauch von Wasserstoff, der heute überwiegend noch nicht regenerativ hergestellt wird, liegt in Deutschland aktuell bei rund 55 TWh. Die Bundesregierung erwartet für das Jahr 2030 einen Bedarf von 90 bis 110 TWh. Selbst wenn es gelingen sollte, die angepeilten 5.000 MW Elektrolyseleistung hierzulande bis 2030 zu installieren, dürfte weiterhin eine sehr große Lücke regenerativ hergestellten Wasserstoffs zu erwarten sein. Wir brauchen einerseits also starke Anreize, damit die hierzulande benötigten Anlagen wirklich errichtet werden. Dazu gehört beispielsweise, Elektrolyseure von Umlagen wie der EEG-Umlage zu befreien. Zweitens brauchen wir einen Regulierungsrahmen für Wasserstoffnetze. Die Bundesnetzagentur ist angehalten, dazu in den Dialog mit der Branche zu gehen. Schließlich brauchen wir eine Importstrategie, die hilft, den künftigen Bedarf zu decken.
energate: Die Wasserstoffstrategie fokussiert bei den Einsatzfeldern auf die Industrie und den Verkehr. Sollte auch der Wärmemarkt stärkere Berücksichtigung finden?
Reiche: Ja, auf jeden Fall. Denn Wasserstoff kann zu einer CO2-armen Wärmeversorgung ganz wesentlich beitragen, etwa durch die Beimischung in die Erdgasnetze oder auch durch die Verwendung in Brennstoffzellenheizungen. Deshalb ist es richtig, dass die Regierung über das neue Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz einen ersten Impuls setzt und künftig KWK-Anlagen, die wasserstoff-ready sind, fördert. Das ist ein sinnvoller Ansatz, um Wasserstoff langfristig auch in den Wärmemarkt zu bringen.
energate: Als das Thema Wasserstoff aufkam, lautete der Titel stets: Gas kann grün. Inzwischen haben wir gelernt, Wasserstoff kann auch blau oder türkis. Für welche Farbnuancen öffnen Sie Ihr Netz?
Reiche: Wenn wir das Ziel der CO2-Freiheit erreichen wollen, muss Wasserstoff am Ende grün sein. Wir sollten aber nicht den Fehler begehen, von heute direkt ins Jahr 2050 springen zu wollen. Wir brauchen einen Übergang. Deshalb bin ich davon überzeugt, dass wir Zwischenschritte akzeptieren müssen. Das Ziel muss grün sein, der Weg dorthin ist aber zunächst mehrfarbig.
Das Interview führte energate-Chefredakteur Christian Seelos.
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