Ron Keßeler warnt vor einem schwierigen Jahr, sieht aber auch positive Effekte der Coronakrise. (Foto: Emergy)
Borken/Coesfeld (energate) - Ron Keßeler ist seit Anfang März Geschäftsführer der beiden kommunalen Versorger aus Borken und Coesfeld im Münsterland. Über die gemeinsame Dienstleistungsgesellschaft Emergy sollen die beiden Unternehmen stärker zusammenrücken. Geschäftsführer Keßeler sprach im Rahmen unserer Sommerinterview-Serie über den Integrationsprozess und seinen Start inmitten der Corona-Hochphase.
energate: Herr Keßeler, am 1. März haben Sie die Geschäftsführung der beiden Versorgungsunternehmen aus Borken und Coesfeld sowie der gemeinsamen Führungs- und Servicegesellschaft Emergy übernommen. Wir war der Einstieg inmitten der Coronakrise?
Keßeler: Der Start war natürlich vollkommen anders als gedacht. Ich komme aus der Unternehmensberatung, da macht man sich einen Plan und versucht eine neue Aufgabe systematisch anzugehen. Den musste ich aber direkt über den Haufen werden, weil wir sofort im Krisenmodus waren. Das fing am ersten Tag mit meiner Vorstellung vor der Mitarbeiterschaft an, die wir spontan auf mehrere Veranstaltungen aufteilen mussten und hat uns dann in den Folgewochen nicht wieder losgelassen.
Mit etwas Distanz kann ich der Situation allerdings auch viel Positives abgewinnen. Denn wir mussten uns als neuformiertes Team sofort in der Krise bewähren, das hat prima geklappt. Positiv war sicher auch, dass standortübergreifendes Arbeiten bei den Stadtwerken in Borken und Coesfeld schon vor der Coronakrise etabliert war. Dadurch mussten wir unsere Prozesse nicht im großen Stil umstellen. Die Digitalisierung war hier schon etabliert und die Coronakrise hat dem - wie bei anderen Versorgern auch - nochmals einen Schub gegeben.
energate: Die Energiewirtschaft kam im Vergleich zu anderen Branchen bislang glimpflich davon. Dennoch wird die Coronakrise auch hier Spuren hinterlassen. Welche Unternehmensbereiche sind bei Ihnen am stärksten betroffen?
Keßeler: Am stärksten betroffen sind bei uns die Bäderbetriebe. Diese mussten wir von heute auf morgen schließen - mit allen unangenehmen Folgen für die Mitarbeiter wie etwa Kurzarbeit. Im Energiebereich war vor allem die IT gefordert, die in kürzester Zeit das stark erweiterte mobile Arbeiten ermöglichen musste. Da fiel einiges an Mehrarbeit an. Darüber hinaus war natürlich auch der Bereich der kritischen Infrastrukturen besonders betroffen, wo wir besondere Hygiene- und Sicherheitsvorkehrungen für die Mitarbeiter getroffen haben. Das galt umso mehr, da wir als Unternehmen schon recht früh von einigen Coronafällen in der Belegschaft betroffen waren.
energate: Ist für Sie bereits absehbar, welchen Schaden die Coronakrise in der Bilanz Ihrer Unternehmensgruppe hinterlassen wird?
Keßeler: Wie befinden uns hier im Westmünsterland glücklicherweise in einer wirtschaftlich robusten Region mit viel Landwirtschaft und einer starken Textil- und Bauwirtschaft, die von der Krise weniger betroffen sind. Dennoch hatten auch wir in der Phase des Lockdowns bei der Stromnachfrage Rückgänge von 10 bis 15 Prozent zu verzeichnen. Die Gasnachfrage war weniger betroffen. Dafür müssen wir die Einbußen aus dem Bädergeschäft verkraften, so dass wir uns in Summe auf einen nennenswerten Umsatzverlust einstellen. 2020 wird in jedem Fall ein ungewöhnliches Jahr mit Dellen in verschiedenen Geschäftsfeldern, auch im regulierten Geschäft.
energate: Um Gewerbetreibenden zu helfen, gestattete die Regierung bei den Energierechnungen einen Zahlungsaufschub von drei Monaten. Von Energieversorgern gab es daran mancherorts Kritik. Wie stark haben Ihre Kunden davon Gebrauch gemacht?
Keßeler: Wir haben uns liquiditätsseitig auf mögliche Stundungen vorbereitet und sind auch aktiv auf unsere besonders betroffenen Kunden mit entsprechenden Angeboten zugegangen. Aus heutiger Sicht kann ich aber sagen, dass das bei uns kaum in Anspruch genommen wurde. Trotzdem bleibt eine gewisse Unsicherheit, weil ja noch gar nicht absehbar ist, wie viele Insolvenzen es am Ende gibt. Daher möchte ich mich noch nicht darauf festlegen, dass wir mit einem blauen Auge davongekommen sind.
energate: Hat die Coronakrise den Blick auf die Zukunft von Emergy verändert?
Keßeler: Nicht in der Richtung, wohl aber in der Geschwindigkeit. Wir sehen uns bestärkt, dass Digitalisierung und nachhaltig-regionale Geschäftsmodelle mehr und mehr gefordert sind und werden weiterhin stark in den Ausbau der erneuerbaren Energien, in die digitale Infrastruktur und in innovative Mobilitätslösungen investieren.
energate: Welche Pläne verfolgen Sie dabei konkret?
Keßeler: Um unsere Erneuerbarenquote zu steigern, haben wir jüngst den Bau eines Windparks mit über 50 MW Leistung begonnen. In das Projekt fließen rund 80 Mio. Euro. Außerdem wollen wir uns stärker beim Glasfaserausbau engagieren. Auch erste Pläne zum Aufbau eines LoRaWan-Netzes in der Region verfolgen wir. Der größte Teil unserer Investitionen geht aber ganz klar in den Substanzerhalt unserer Netze und der zugehörigen Infrastruktur. Denn die Netze sind unser Grundgerüst.
energate: Sie sind sowohl Geschäftsführer der Stadtwerke Borken und der Wirtschaftsbetriebe Coesfeld, genauso wie der neu geschaffenen Emergy, die die beiden Stadtwerke miteinander verbinden soll. Wie weit ist der Integrationsprozess?
Keßeler: Wir haben die Emergy als gemeinsame Gesellschaft gegründet, um die Service- und Führungsfunktionen über beide Stadtwerke zu bündeln und somit Kompetenzen im komplexer werdenden Umfeld vorhalten zu können, bei denen kleine Stadtwerke schnell an ihre Grenzen geraten. Dieses Konzept füllt sich jeden Tag mit mehr Inhalt und wir sind mitten in der Umsetzung. Zu den großen Schritten zählte die Bündelung von Funktionen an einzelnen Standorten, etwa dem Finanzwesen in Coesfeld und Controlling/Unternehmensentwicklung in Borken. Damit sind wir jetzt durch. Nun sind wir mitten in den Details. Das fängt bei gemeinsamen kaufmännischen und technischen Standards an und geht bis runter zu sehr operativen Dingen wie aufeinander abgestimmte Schließsysteme. Schön ist, dass die Veränderung so breit mitgetragen wird und jetzt viel Ehrgeiz erkennbar ist, das gemeinsame Optimum zu formen.
energate: Wird Emergy auch unter dem eigenen Markennamen nach außen auftreten?
Keßeler: Vor allem bei Aktivitäten, die über das klassische Kerngeschäft der beiden Stadtwerke hinausgehen, ist das der Fall. Die Stärke und die Markenauftritte der Versorger aus Borken und Coesfeld bleiben aber definitiv erhalten. Wir stellen die Stadtwerke als eigenständige Unternehmen nicht in Frage.
energate: Ist der Emergy-Verbund offen für weitere Partner?
Keßeler: Unser Fokus liegt derzeit voll und ganz darauf, den Integrationsprozess erfolgreich zu gestalten. Wenn unser Ansatz in der Region auf Interesse stößt und für gut befunden wird, freut uns das aber natürlich.
Das Interview führte energate-Chefredakteur Christian Seelos.
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