Brüssel (energate) - Bis 2030 sollen in der EU Elektrolyseanlagen im Umfang von 40.000 MW entstehen. Damit dies gelingt, müssen die Mitgliedsstaaten auch bei den Betriebskosten von Projekten mitfinanzieren dürfen, fordert Jorgo Chatzimarkakis, Generalsekretär des Dachverbandes Hydrogen Europe, in dem Hersteller und nationale Verbände vereinigt sind, im Interview mit energate. Darin spricht er auch über den Erneuerbarenzubau für die Wasserstoffproduktion, Preisentwicklung und Importe.
energate: Herr Chatzimarkakis, Hydrogen Europe hat die Verabschiedung der EU-Wasserstoffstrategie im Juli als "historisch" bezeichnet. Aus welchem Grund?
Chatzimarkakis: Es gab auf EU-Ebene und auch auf Ebene der Mitgliedstaaten bislang keine Wasserstoffpolitik. Wir befanden uns als Branche in einer Nische, die Viele mit Innovationen oder auch Science-Fiction verbunden haben. Jetzt geht es bei Wasserstoff um reale Gesetzgebung. Das ist historisch.
energate: Sehen Sie einen Paradigmenwechsel?
Chatzimarkakis: Insofern, als mit dem Beschluss auch die Dekarbonisierung der Moleküle und nicht nur der Elektronen eingeleitet wird. Das Manko der bisherigen Elektrifizierungsstrategien ist ja, dass sie damit nicht alle Sektoren erreichen. Nun steht die Dekarbonisierung der gesamten Wirtschaft in Aussicht.
energate: Die EU-Kommission formuliert in ihrer Strategie große Ausbauziele: Bis 2030 sollen Elektrolysekapazitäten von 40.000 MW entstehen. Wie kann daraus mehr als nur eine Ankündigung werden?
Chatzimarkakis: Wichtig ist, dass schnell Maßnahmen sichtbar werden. Hydrogen Europe hat eine Strategie vorgelegt für den Aufbau von zwei Mal 40.000 MW Elektrolyseleistung bis 2030 - in der EU sowie in Nordafrika und der Ukraine. Unser Papier ist vor der Coronakrise entstanden, aber die Pandemie hat das Ganze umso dringlicher gemacht. Wenn Sie so wollen, gibt es einen katalytischen Zusammenhang zwischen der Krise und dem Markthochlauf von Wasserstoff.
energate: Inwiefern?
Chatzimarkakis: Wir haben es mit einer riesigen Umbruchsituation zu tun. Wir wollen weg von den Fossilen. Wir wollen bis 2024 bereits eine Mio. Tonnen grünen Wasserstoff erzeugen, bis 2030 dann schon zehn Mal so viel. Das ist eine gewaltige Herausforderung. Wir müssen also sofort anfangen. Die European Clean Hydrogen Alliance hat den Auftrag, bis Ende des Jahres eine Pipeline von Projekten vorzuschlagen, die den Hochlauf möglich machen.
energate: Welche Rolle spielt die European Clean Hydrogen Alliance konkret?
Chatzimarkakis: Dort geht es einerseits um konkrete Projekte. Deswegen sind da auch die CEOs mit dabei. Es geht aber auch darum, die Finanzierung zu organisieren.
energate: Die EU-Kommission will Wasserstoff mit dem jüngst beschlossenen Konjunkturpaket für den Wiederaufbau nach der Pandemie sowie über den mehrjährigen Haushalt fördern. Reichen die Mittel aus, um den Markthochlauf zu initiieren?
Chatzimarkakis: Das Maßschneidern von Fonds allein wird nicht reichen. Die Staaten müssen nicht nur bei den Investitionen, sondern auch bei den Betriebskosten von Projekten mitfinanzieren dürfen. Zumindest in der Hochlaufphase. Immerhin geht es um einen systemischen Wechsel, das ist mit deutlichen Investitionen verbunden. Das geht nur, wenn der beihilferechtliche Rahmen jetzt angepasst wird. Für 2022 ist das ohnehin vorgesehen. Die Staaten sind bereit, aktiv zu werden, man muss sie nur lassen. Frau Vestager, die EU-Wettbewerbskommissarin, müsste eine entsprechende Strategie entwickeln. Die Wasserstoffstrategie war ein wichtiges Signal, jetzt müssen Taten folgen.
energate: Halten Sie es für realistisch, dass grüner Wasserstoff bereits 2030 wettbewerblich erzeugt werden kann, wie es die EU in ihrer Strategie prognostiziert?
Chatzimarkakis: Absolut. Einerseits werden die Kosten für die Elektrolyseure deutlich sinken, andererseits wird es eine Veränderung bei den Stromgestehungskosten geben. Bei der Elektrolyse macht der Strompreis ja 80 Prozent der Kosten aus. Wir werden auch eine CO2-Bepreisung sehen, durch die sich die fossilen Energieträger verteuern. In Relation wird dann Wasserstoff günstiger und deutlich wettbewerbsfähiger.
energate: Die EU will zudem eine CO2-Steuer auf Importe erheben, um eventuelle Nachteile der europäischen Industrie durch höhere Umweltkosten auszugleichen. Was halten Sie davon?
Chatzimarkakis: Es wird nicht ohne gehen. Wir müssen den CO2-Gehalt von Waren zu einer Währung erklären. Ist er hoch, wird es teurer, ist er niedrig, billiger. Wir müssen mit diesem Weg in Europa anfangen, wenn wir wollen, dass auch andere mitziehen.
energate: Wäre ein solcher Schritt nicht eine Form von Protektionismus?
Chatzimarkakis: Das sehe ich nicht so. Es geht darum, dass wir einen Paradigmenwechsel vollziehen wollen und zwar auf globaler Ebene. Wir können damit beginnen, indem wir neue Märkte aufbauen, etwa bei Elektrolyseuren. Letztendlich geht es doch darum, dass wir so handeln, wie es das Klimaabkommen von Paris verlangt.
energate: Wenn der Wasserstoff grün hergestellt werden soll, braucht es zusätzliche Erneuerbaren-Kapazitäten. Wo sollen die entstehen?
Chatzimarkakis: Wir brauchen eine neue Anlagenkategorie, die "Hydrogenewables", bei denen der Strom direkt in Wasserstoff umgewandelt wird, ohne Stromtransport. Das bringt einen Effizienzgewinn von acht Prozent. In Deutschland reden wir da über Offshore-Windanlagen, insgesamt werden wir aber deutlich mehr Anlagen in Südeuropa und in Nordafrika sehen. Der Transport von Wasserstoff über Pipelines ist nachweislich effizienter als Strom über lange Leitungen zu transportieren.
energate: Schon das gescheiterte Projekt Desertec verfolgte das Ziel, in Nordafrika Energie für Europa zu produzieren. Besteht nicht die Gefahr, dass sich dieser Fehler beim Wasserstoff wiederholt?
Chatzimarkakis: Wir haben dazu gelernt. Bei einem 'Desertec II' wird die Wirtschaft vor Ort miteinbezogen. Nehmen Sie nur das Beispiel Marokko. Das Land produziert Wasserstoff als Grundstoff für die eigene Düngemittelproduktion. Damit schaffen sie Wertschöpfung vor Ort. Nur was übrig bleibt, geht in den Export, und zwar nicht mehr in Form von Strom, sondern als Wasserstoff. Das wird aber immer noch genügend Wasserstoff sein, angesichts der guten Wind- und Sonnenbedingungen dort.
energate: Auch Russland bringt sich ja zunehmend als Exportland für Wasserstoff ins Spiel. Dort spielt vor allem die Pyrolyse eine Rolle. Wie schätzen Sie die Entwicklung ein?
Chatzimarkakis: Es gibt einige Unternehmen, die mit Hochdruck daran arbeiten. Die Pyrolyse kann deutlich günstiger sein als die Elektrolyse von Wasserstoff, allerdings liegt diese Technologie in der industriellen Entwicklung eine Dekade im Hintertreffen. Insofern sollten wir das nicht unterschätzen. Ich sehe das auch aus einem anderen Grund mit Interesse.
energate: Aus welchem?
Chatzimarkakis: Wir werden in Zukunft viele Brennstoffzellen brauchen. Aktuell werden die aus Stahl und Platinmembranen hergestellt, effizienter wäre es aber, wenn man Graphit nutzen würde. Das lässt sich aus Kohlenstoffverbinden gewinnen, die bei der Pyrolyse entstehen. Insofern könnte hier ein integrierter Ansatz erwachsen.
Die Fragen stellte Karsten Wiedemann, energate-Redaktion Berlin.