Wien (energate) - Die österreichische E-Wirtschaft steht vor einem gewaltigen Umbruch, den das kommende Erneuerbare-Ausbau-Gesetz (EAG) gestalten kann und sollte. Noch gibt es aber einzelne Streitpunkte - vor allem bei der Wasserkraft, sagt Barbara Schmidt, Generalsekretärin von Oesterreichs Energie, im Interview mit energate. Außerdem hofft sie auf eine baldige nationale Wasserstoffstrategie.
energate: Frau Schmidt, die Energiemärkte befinden sich in einem Transformationsprozess. In welchen Energiequellen liegt für Sie die Zukunft?
Schmidt: Ich würde fast von einem Generalumbau sprechen. Elektrische Energie aus erneuerbaren Quellen - also Wasser, Wind und Sonne - wird die Hauptsäule unserer Energieversorgung sein. In der Industrie wird immer mehr grünes Gas zur Anwendung kommen. Das bedeutet aber nicht nur, dass wir fast die Hälfte unserer derzeitigen Erzeugung im Ausmaß von 27 TWh in Österreich nochmals aus Erneuerbaren ausbauen müssen. Wir brauchen nicht nur 11 TWh zusätzlichen erneuerbaren Strom aus Photovoltaik, 10 TWh aus Wind, 5 TWh aus Wasser und 1 TWh aus Biomasse bis 2030. Wir müssen auch unsere Netze ausbauen und neue Speichermöglichkeiten schaffen. Wir brauchen 100-prozentige Versorgungssicherheit. Es ist nicht nur ein Riesen-Infrastrukturprojekt, sondern auch ein Riesen-Konjunkturprogramm. Gerade in Zeiten einer Wirtschaftskrise sollten wir das nicht vergessen.
energate: Wo sehen Sie das größte Potenzial für die Erneuerbaren?
Schmidt: Ein Blick auf die Ziele macht die enorme Herausforderung deutlich: Deckung des heimischen Stromverbrauchs bis 2030 zu 100 Prozent aus erneuerbarer Erzeugung, CO2-Neutralität bis 2040 in Österreich und bis 2050 in der gesamten EU. Die österreichische E-Wirtschaft mit einem Erneuerbarenanteil von rund 75 Prozent ist für diese Aufgabe gerüstet. Die Branche investiert jährlich 25 Mio. Euro in Forschungsprojekte. Aktuell beschäftigt sich die E-Wirtschaft mit der Elektrifizierung des Gesamtenergiesystems durch die Kopplung der Sektoren Strom, Wärme und Mobilität.
energate: Welche Herausforderungen beim Umbau des Energiesystems sind zu bewältigen?
Schmidt: Um die Stromproduktion aus erneuerbaren Energien und die dafür nötigen Netze auszubauen, müssen wir Systemblockaden und administrative Hürden rasch überwinden. Im Moment erschweren lange Genehmigungsverfahren und Aufschübe den Ablauf. Wir brauchen ein zeitgemäßes Energierecht und finanzielle Anreize für den Erneuerbarenausbau, der bei den aktuellen Marktpreisen nicht konkurrenzfähig ist. Weiters braucht es informierte Sachverständige und eine Ausweitung des One-Stop-Shops für Betriebsanlagen.
energate: Die Debatte um das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz geht in die Endrunde. Wo sieht Oesterreichs Energie noch Handlungsbedarf?
Schmidt: Wir erwarten täglich den Entwurf zur Begutachtung. Wir fordern: Investitionssicherheit für alle Erneuerbarenanlagen durch flexible Marktprämien, die technologiespezifisch gewährt werden. Außerdem braucht es eine längerfristige Grundlage für jene Kraftwerke, die sich wirtschaftlich zwar nicht mehr rentieren, aber für Netzreserve und Versorgungssicherheit systemrelevant sind. Auch für Energiegemeinschaften erwarten wir klare Regelungen. Wir hören, dass es sich noch in einigen Punkten spießt und sich daher der Ablauf verzögert. Bei der Wasserkraft sind Genehmigungskriterien hinsichtlich Förderfähigkeit geplant, die das bereits jetzt schwer realisierbare Ziel von 5 TWh gänzlich unmöglich machen. Wasserkraft kann schon derzeit nur unter strengen ökologischen Bedingungen, die in den Verfahren geprüft werden, errichtet werden. Wenn weitere Bedingungen an die Förderfähigkeit geknüpft werden, werden die Ziele sicher nicht erreicht werden. Und man verzichtet somit auf eine systemrelevante Erzeugungsform. Dagegen werden wir natürlich auftreten.
energate: Ist schon absehbar, wie die Ausschreibungen ausgestaltet sein werden?
Schmidt: Wie der Gesetzesvorschlag aussehen wird, wissen wir noch nicht im Detail. Nach den Informationen, die wir derzeit haben, gehen wir aber davon aus, dass das wichtigste Instrument im EAG technologiespezifische Vergabeprozesse mit festgelegten Marktprämien sein wird. Zudem zeichnet sich ab, dass Ausschreibungen vor allem bei PV-Anlagen eine Rolle spielen werden. Aus Sicht der E-Wirtschaft ist dieser Zugang zielführend. Dadurch ist sichergestellt, dass Erzeugungstechnologien schnell und gleichmäßig ausgebaut werden können. Gleichzeitig ist dieses Modell deutlich marktnäher als die bisherigen Einspeisetarife und bietet allen Teilnehmern Anreize, netzdienlich zu agieren.
energate: Stichwort CO2-Bepreisung: Verbund und andere fordern die Ausweitung auf Wärme und Verkehr. Ist diese Forderung in der E-Wirtschaft mehrheitsfähig?
Schmidt: Die Diskussion ist durch die Coronakrise in den Hintergrund gerückt. Wir treten für eine faire CO2 -Bepreisung für alle Sektoren ein. Es braucht ein CO2-orientiertes Abgabensystem für Energieträger. Doppelbelastungen für thermische und KWK-Anlagen müssen vermieden werden. Es gibt ja eine Zweckbindung der ETS/CO2-Einnahmen an Maßnahmen zur Emissionssenkung. Wir treten für eine Senkung der Elektrizitätsabgabe auf die EU-Mindestsätze ein. Wir haben immer klar gemacht, dass wir eine europäische Lösung anstreben.
energate: Thema Wasserstoff: Die EU und Deutschland haben ihre Strategiepläne bereits vorgelegt. Wann legt Österreich nach und welche Rolle können wir im internationalen Konzert spielen?
Schmidt: Die österreichische Wasserstoffstrategie ist derzeit noch in Arbeit und wird vermutlich im Laufe des Herbstes vorliegen. Das Thema wird auch bei uns in den nächsten Jahren wichtiger werden. Der Weg, den wir dabei beschreiten werden, wird sich aufgrund der unterschiedlichen Voraussetzungen und Rahmenbedingungen aber deutlich vom Zugang anderer Länder abheben. Durch den hohen Anteil von erneuerbarem Strom sind wir in einer sehr guten Startposition. Zudem haben wir große Erdgasspeicher, die künftig auch für die Lagerung von Wasserstoff genutzt werden können. Mit diesen Voraussetzungen könnte Wasserstoff in Zukunft - zusätzlich zu unseren Pumpspeicherkraftwerken - etwa bei der Speicherung und der saisonalen Verlagerung von Energie eine wichtige Rolle spielen. Das Thema wird schnell Fahrt aufnehmen, sobald die strategische Richtung und das rechtliche Umfeld klar sind.
Das Interview führte Irene Mayer-Kilani, Wien. Im zweiten Teil des Interviews lesen Sie, wie Barbara Schmidt aus Sicht der E-Wirtschaft auf den bisherigen Verlauf der Coronakrise zurückblickt und welche längerfristigen Effekte sie erwartet.