Wien (energate) - Österreichs Stromnetze seien "am Limit", berichten Vorstände des Übertragungsnetzbetreibers APG. Neben neuen Leitungen seien auch leistungsfähige Speicher nötig, damit das Land seine Klimaziele erreichen könne, heißt es beim Branchenverband Oesterreichs Energie. Anlass der neuerlichen Forderung der APG nach einem stärkeren Ausbau der Netze sind die Kosten für Redispatch, die während der Coronakrise weiter stark steigen. In den vergangenen Monaten gab es deutliche Verbrauchsrückgänge bei einer gleichzeitig hohen Erzeugung mit Erneuerbaren. In den vergangenen Wochen hat sich in Österreich der Anteil der Erneuerbaren wiederholt der Marke von 100 Prozent genähert oder lag sogar darüber (
energate berichtete). Als Folge davon stieg für die APG der Aufwand für die Stabilisierung der Netze stark an. In den ersten acht Monaten musste der Netzbetreiber rund 100 Mio. Euro für Redispatch ausgeben. Jeden zweiten bis dritten Tag könne Strom aus dem Westen Österreichs oder aus dem westlichen Ausland nicht in den Osten des Landes transportiert werden, wo die Ballungszentren und die energieintensive Industrie seien.
"Wir haben ein massives Problem"
"In den letzten Wochen haben wir die Alarmglocken schrillen gehört, und die APG konnte die Situation nur dank zahlreicher Notmaßnahmen meistern. Wir haben ein massives Problem, weil uns Leitungen fehlen", sagte der technische Vorstand Gerhard Christiner bei einer Pressekonferenz in Wien. Die APG investiert heuer 350 Mio. Euro in die Netzinfrastruktur und plant in den kommenden zehn Jahren Investitionen von insgesamt 2,9 Mrd. Euro. In der gesamten heimischen Stromwirtschaft sind in diesem Zeitraum Investitionen in Netze in Höhe von 18 Mrd. Euro geplant. Trotzdem sei der 380-kV-Ring immer noch nicht geschlossen, weil sich der Bau der Salzburgleitung durch Proteste und lange Prüfungsverfahren um viele Jahre verzögert habe (
energate berichtete). In diesem Zusammenhang erteilte Christiner dem Vorschlag, statt einer Freileitung streckenweise auf Erdkabel zu verlegen, eine Absage: "Das würde eine völlige Neuplanung mit sich bringen, praktisch den Beginn bei null mit einer neuen Trasse."
Weil mit dem Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz (EAG) der Anteil der Erneuerbaren weiter stark steigen werde, drohten dem Land ohne den Ausbau der Netze auch Nachteile auf europäischer Ebene, erklärte der kaufmännische Vorstand Thomas Karall. "Österreich ist in den gut funktionierenden westeuropäischen Strommarkt eingebunden. Ohne Netzausbau laufen wir Gefahr, dass wir diese Einbindung verlieren." Günstiger Ökostrom aus dem Westen des Landes oder Stromimporte, ebenfalls vorwiegend aus westlicher Richtung oder aus Deutschland, würden für Liquidität im Markt und niedrige Strompreise sorgen. "Wer die bessere Physik hat, hat den besseren Marktzugang und eine höhere Liquidität", so Karall.
"Ohne zusätzliche Netze und Speicher technisch nicht machbar"
Ein dringender Appell für den Ausbau der Netze sowie für Stromspeicher kommt auch vom Branchenverband Oesterreichs Energie. Der im Regierungsprogramm vorgegebene Ausbau der Erneuerbaren um zusätzliche 27 Mrd. kWh in den nächsten zehn Jahren entspreche dem gesamten Stromverbrauch Dänemarks, rechnete Präsident Michael Strugl vor. "Damit unser System diese zusätzlichen Kapazitäten verkraftet, müssen wir den Ausbau unserer Netze jetzt vorantreiben." Nötig seien auch "innovative Speichersysteme, so Strugl weiter. "Ohne diese Infrastruktur ist die Umstellung auf erneuerbare Energiequellen technisch einfach nicht machbar." Sowohl die Politik als auch die "breite Bevölkerung" müsse dringend benötigte Netzprojekte aktiv unterstützen: "Wer die Energiewende will, muss den Netzausbau akzeptieren."
/Peter Martens