Braunschweig (energate) - Der Braunschweiger Versorger BS Energy hat mit Marktraumumstellung und einer umfassenden Umrüstung des Kraftwerksparks gleich zwei Großprojekte unter dem Einfluss der Coronapandemie vorangetrieben. Über die Erfahrungen und die neue Arbeitswelt beim Braunschweiger Versorger sprach energate mit dem Vorstandschef Julien Mounier im Rahmen einer Sommerserie.
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Corona
energate: Herr Mounier, gab es eine Lockdown-Strategie in Ihrem Haus?
Julien Mounier: Eigentlich hatten wir sogar mehrere Strategien für die unterschiedlichen Bereiche des Unternehmens, wie den kaufmännischen Teil, den Netzbetrieb und den Kraftwerksbereich. Wir waren dabei auch nicht unvorbereitet, denn es gab schon einen Pandemieplan. Wir haben aber dann gemerkt, dass wir diesen anpassen mussten. Hierzu haben wir schon sehr früh - im Februar - einen Krisenstab eingerichtet. Dieser hatte auch die Aufgabe, sich mit der schlimmsten Situation auseinanderzusetzen, also auch Maßnahmen für eine Kasernierung vorzubereiten. Aus heutiger Sicht kann ich aber nun sagen, dass wir das nicht brauchten.
energate: Inwiefern haben Sie den Pandemieplan denn angepasst?
Mounier: Der ursprüngliche Plan sah auch ein Szenario vor, in dem wir von 100 Prozent auf null Prozent Anwesenheit im Büro gehen. Wir haben aber dann gemerkt, dass das gar nicht notwendig ist. Die Coronakrise hat uns nicht gezwungen, auf dieses Maximum zu gehen. Ein Mitarbeiter pro Büro, das war eigentlich immer möglich. Auch weil wir genügend Platz haben, um die Arbeitsplatzsituation zu entzerren. Was wir brauchten, war ein vernünftiges Hygienekonzept und für bestimmte Bereiche, beispielsweise den Kraftwerksbetrieb, andere Schichtpläne, damit Arbeitsgruppen sich nicht durchmischen. Eben weil diese Maßnahmen funktioniert haben, mussten wir die Lockdown-Variante mit null Prozent Anwesenheit nicht umsetzen.
energate: Und wie sieht die Arbeitswelt bei BS Energy aktuell aus?
Mounier: Ich würde sagen, wir befinden uns gerade mitten in einer Back-to-Office-Situation. Das heißt, wir sind nicht mehr im Lockdown, wo viele Mitarbeiter gezwungen waren, von Zuhause zu arbeiten. Etwa 150 bis 100 Mitarbeiter pro Tag arbeiten derzeit noch mobil. Das ist arbeitstechnisch schon eine neue Welt, wir sind jetzt deutlich flexibler unterwegs.
energate: Wie hat sich die Coronapademie auf die wirtschaftlichen Ziele von BS Energy ausgewirkt?
Mounier: Wir haben uns am Anfang viele Sorgen über die Auswirkungen auf die Liquidität unserer Kunden gemacht. So konnten wir zum Beispiel nicht abschätzen, wie sich unsere Kunden verhalten werden, mit wie vielen Stundungen von Rechnungen wir es zu tun bekommen. Bislang haben unsere Kunden die Möglichkeit noch nicht genutzt, wir zählen bislang rund 200 gestundete Rechnungen. Bei den größeren Gewerbekunden haben wir dann gemeinsam in Absprache eine gute Lösung gefunden. Es könnte auch sein, dass im kommenden Jahr nochmal eine Insolvenzwelle auf uns zukommt. Wir gehen in unseren Prognosen davon aus, dass wir durch die Krise drei bis vier Mio. Euro verlieren. Aber das ist alles noch sehr unsicher.
energate: Inwiefern haben Sie den Lockdown im Energieabsatz gespürt?
Mounier: Bei Gas war das Geschäft in diesem Jahr eh schon herausfordernd, weil der Winter vergleichsweise warm war. Corona hat die Situation nicht besser gemacht. Wir haben bisher über alle Energiesparten hinweg 10 Prozent weniger Absatz als geplant. Das wird natürlich zu Einbußen im BS-Energy-Ergebnis führen, aber die liegen unter diesen Umständen im normalen Bereich.
energate: BS Energy hat als eines von wenigen Unternehmen mit der Marktraumumstellung während der Krise pausiert. Warum war das notwendig?
Mounier: Das war schon ein emotionales Thema. Viele unserer Kunden waren verunsichert und haben sich mit ihren Bedenken gemeldet. Deswegen haben wir in Abstimmung mit dem vorgelagerten Netzbetreiber und der Stadt vereinbart, die Hausbesuche für rund zwei Wochen zu pausieren. Das war im Nachhinein genau die richtige Entscheidung, sich die Zeit zu nehmen und in Ruhe abzustimmen. Ziel dabei war, dass wir hier in der Region ein einheitliches Hygienekonzept hatten, zum Schutz der Mitarbeiter und der Bürger. Mittlerweile laufen die Arbeiten aber wieder und wir haben keine Verzögerung im Umstellungsprozess mehr. Wir gehen deswegen davon aus, dass wir bis Ende 2021 alle 70.000 Gasgeräte umgestellt haben.
energate: Inwiefern hat sich der Einsatz der Voicebots im Umstellungsprozess bewährt?
Mounier: Der Voicebot wird von Kunden sehr gut angenommen, gerade auch außerhalb der Arbeitszeiten. Deswegen wollen wir das neue Tool auch auf andere Bereiche ausweiten. Wir denken da vor allem an Dinge wie Zählerstandserfassung oder sonstige Datenermittlung. Aber da wollen wir nun erstmal unsere Erfahrung sammeln und auswerten.
energate: Ein weiteres Großprojekt bei BS Energy ist die Umrüstung des Kraftwerksparks. Wie lässt sich dies in Zeiten von Corona umsetzen?
Mounier: Auch hier gab es kleine Zeitverzögerungen, mittlerweile sind wir aber auch hier wieder im Plan. Ein Thema, mit dem wir zu tun hatten, war zum Beispiel, dass die Stadt die Kampfmittelsondierung für eine gewisse Zeit ausgesetzt hat. Der Grund war, dass bei einem Bombenfund eine Evakuierung notwendig gewesen wäre, was unter Coronabedingungen schwierig umsetzbar gewesen wäre.
Grundsätzlich sind die Abläufe auf der Großbaustelle mit künftig bis zu 500 Mitarbeitern gleichzeitig vor Ort herausfordernd, denn hier müssen wir uns ganz anders organisieren als es sonst bei solchen Vorhaben üblich ist. Wir müssen zum Beispiel viel mehr auf die Trennung unserer Kraftwerksmitarbeiter und der externen Dienstleister achten. Denn die Bauarbeiten finden ja im laufenden Betrieb statt. Das heißt, wenn es auf der Baustelle einen Corona-Fall gibt, würde dies auch gleich den Kraftwerksbetrieb beeinflussen und im schlimmsten Fall gefährden. Das wollen wir verhindern. Hierfür werden wir in Kürze Körpertemperaturmessungen an den Werkseingängen einführen. Wir achten auf eine strikte Trennung der Mitarbeiter, die sich nicht persönlich treffen sollen. Es gibt also Zonen, wo bestimmte Mitarbeiter reingehen dürfen und andere nicht. Zudem überlegen wir noch, ob wir nicht regelmäßige Corona-Tests durchführen lassen.
energate: Gab es denn schon Corona-Fälle im Unternehmen?
Mounier: Wir hatten unter den 1.200 Mitarbeiter vereinzelte Fälle. Allerdings haben wir die Mitarbeiter frühzeitig abgegrenzt, so dass wir keine Verbreitung innerhalb des Unternehmens hatten. Das war in der ganz frühen Phase, als die Mitarbeiter aus dem Skiurlaub zurückgekommen sind. Wir hatten wirklich Glück, dass wir sehr früh mit Quarantäne-Maßnahmen angefangen haben.
energate: Welche Maßnahmen verfolgt BS Energy neben der Kraftwerksumrüstung noch zur Erreichung der Klimaziele?
Mounier: Wir streben als Unternehmen an, bis 2035 klimaneutral werden. Meiner Meinung nach geht das ohne den Einsatz von Wasserstoff nicht. Hierzu erarbeiten wir aktuell eine eigene Wasserstoffstrategie. Da gibt es gleich mehrere potenzielle Anwendungsfelder, mit denen wir uns beschäftigen. Im Bereich Infrastruktur prüfen wir, wie sich das Netz so ertüchtigen lässt, dass sich auch größere Mengen Wasserstoffs einspeisen lassen. Ein weiterer Bereich, wo wir aktiv werden wollen, sind Quartierslösungen unter Einbezug von Wasserstoff. Zudem beschäftigen wir uns mit der Option, eigene große Produktionsstandorte für Wasserstoff zu unterhalten. Denkbar wäre dies zum Beispiel am Kohle-Kraftwerksstandort Mehrum, gemeinsam mit Kooperationspartnern.
Neben solchen großen Projekten ist es mir aber auch wichtig, dass im Unternehmen eine nachhaltige Kultur besteht. Das kann bei wirklich ganz kleinen Dingen anfangen, wie zum Beispiel, dass wir Holz- statt Kunststoff-Kugelschreiber benutzen oder in unserer Kantine mehr Veggie-Tage einrichten.
energate: Welche positiven Aspekte nehmen Sie aus der Krise mit?
Mounier: Wir haben zunächst einmal gelernt, dass wir auch als Versorger mobil arbeiten können. Aber was noch bedeutender ist: Die Krise hat uns gezwungen, zu entscheiden, was wichtig ist und was nicht. So sind zum Beispiel mit der Krise viele unwichtige Meetings entfallen, die wir vielleicht vorher noch als unverzichtbar erachtet haben. Ich glaube in der Tat auch, dass wir ein Stück weit produktiver dadurch geworden sind. Ich finde es gut, dass wir als Unternehmen festgestellt haben, dass einige Dinge vor dem Hintergrund der Bewältigung der Krise beziehungsweise der Aufgabe der Daseinsvorsorge verzichtbar sind. Außerdem hat uns die Zeit als Unternehmen, zum Beispiel durch die enge Zusammenarbeit im Krisenstab, zusammengeschweißt.
energate: Welche Themen sind denn unwichtiger geworden?
Mounier: Konkrete Bereiche kann ich Ihnen da nicht nennen. Aber wenn man nicht genau weiß, wie sich die nächsten Monate entwickeln, dann überlegt man natürlich nochmal genauer, ob man in ein Projekt investiert oder nicht, damit die Liquidität von BS Energy weiter sichergestellt ist. Deswegen gibt es schon einige Dinge, die nun erstmal auf "Hold" stehen.
Die Fragen stellte Mareike Teuffer, energate-Redaktion Essen.