Berlin (energate) - Das mögliche Tempo für einen deutschen Gasausstiegs ist innerhalb der Bundesregierung umstritten. Während Jochen Flasbarth, Staatssekretär im Umweltministerium auf der Handelsblatt Jahrestagung "Gas 2020" die frühen 40er Jahre als Ausstiegsdatum für fossile Gase nannte, betonte sein Kollege im Wirtschaftsministerium, Andreas Feicht die "überragende Bedeutung" als Brücke auf dem Weg zum künftigen Wasserstoffmarkt. "Wir werden auch eine Antwort auf die Versorgungssicherheit geben müssen", sagte er in Berlin. Julia Verlinden, energiepolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, vertrat vor der versammelten Gasbranche ihre Position, dass "in Neubaugebieten gar keine Erdgasnetze mehr notwendig sind". Auch grauer oder blauer Wasserstoff aus Erdgas ist für sie keine Alternative, da Norwegen letzteren vermutlich nicht so günstig anbieten würde wie erhofft.
Bei der ewigen Diskussion um die richtige Farbenlehre der Moleküle sorgte eine Äußerung von Flasbarth für ein vorsichtiges Durchatmen bei den Tagungsteilnehmern. "Das Umweltministerium will nicht anders farbige Wasserstoffmoleküle an den Grenzen erschießen", sagte er mit dem Verweis darauf, dass auch Atomenergie durch das deutsche Stromnetz fließe. Dennoch bekräftigte der Staatssekretär den Fokus auf grünen Wasserstoff inklusive ambitionierter Importstrategien.
Probleme bei Volumen und Preis
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In welche Mengen und zu welchen Kosten sich grüner Wasserstoff für welche Branchen überhaupt erzeugen lässt, ist ein Streitpunkt, der auch bei der diesjährigen Handelsblatt-Jahrestagung großen Raum einnahm. Wirtschaftsstaatssekretär Feicht warnte vor zu viel Optimismus: "Unser größter Elektrolyseur in Deutschland liegt aktuell bei 10 MW, bauen wir einen über 100 MW schaffen wir es damit schon in die Tagesschau", sagte er in Berlin. Neben den Mengenproblemen, die sich in seinen Augen nicht allein über grüne Wasserstoff-Importe beheben lassen, betonte er das Kostenproblem. Bei Herstellungskosten von derzeit noch 9 Euro gebe es noch immer ein großes Delta zu den heutigen Brennstoffkosten in der Industrie, sogar wenn die Regierung auf die EEG-Umlage beim eingesetzten Ökostrom verzichte. "Wir können doch nicht die Grenzen für anderen Wasserstoff schließen und dann nur Thyssenkrupp mit dem wenigen grünen Wasserstoff versorgen". Verlinden hielt dem Staatssekretär bei dem Punkt selbstgemachte Probleme entgegen. Der Erneuerbaren-Deckel, die Diskussion um die Ausschreiberegeln bei Offshore-Windkraft sowie schlechte Rahmenbedingungen für Mieterstrom würden das Potenzial für grünen Wasserstoff in Deutschland stark einschränken.
Der Chef des Berliner Gasversorgers Gasag, Gerhard Holtmeier, gab zu bedenken, dass allein für die Dekarbonisierung der Hauptstadt der Strombedarf über 30.000 MW explodieren würde. Dass Vattenfall die Heizkraftwerke von Kohle auf Gas umrüstet, spreche ebenso wenig für einen schnellen Gasausstieg, sondern zunächst sogar für einen Anstieg. Holtmeier würde die Farbdiskussion beim Wasserstoff ohnehin lieber heute als morgen beenden." Wenn der CO2-Preis irgendwann bei 150 Euro liegt, dann wird dies ein Hebel werden - zumindest auf europäischer Ebene." Auf lange Sicht werde damit der Erdgaseinsatz bei der Wasserstoffproduktion schon aus wirtschaftlichen Gründen abnehmen, versuchte er Verlinden zu beschwichtigen.
Methan-Diskussion gewinnt an Gewicht
Nach dem Kohleausstieg sieht Constantin Zerger, Leiter Energie und Klimaschutz der Deutschen Umwelthilfe, den Handlungs- und Informationsbedarf bei der Gasbranche steigen. "Die Schlusslaterne geht jetzt an Ihre Branche", sagte er in Berlin. Das eine oder andere Gaskraftwerk habe sicher noch seine Daseinsberechtigung, aber bei neuen LNG-Terminals hat die Deutsche Umwelthilfe Zweifel. Von der schönen neue Werbung des geplanten Terminals in Stade, das sich für Wasserstoff öffnen will (energate berichtete) wolle man sich nicht blenden lassen. "Wir werden uns in unserem Widerstand festbeißen, sie verbauen sonst die Energiewende", gab sich Zerger kämpferisch. Als einen Grund führte er die klimaschädlichen Methanemissionen an, die sogar laut Energieagentur IEA weit unterschätzt würden.
Der Hauptgeschäftsführer des Verbandes BVEG, Ludwig Möhring, gab zu Bedenken, dass die Energiewirtschaft beim Methan nur für einen kleineren Anteil zuständig sei und bemängelte, dass sogar die IEA mit Hochrechnungen aus US-Daten arbeite. Die Branche begrüße daher, das neue Messungen eine bessere Datengrundlage bis zum Bohrloch liefern sollen. Aktuell arbeitet die EU-Kommission an einer neuen Methanstrategie. Zerger lobte in Berlin, dass zumindest einige Gasversorger bereits den Informationsdruck an ihre Produzenten weiterreichen. Verbandschef Möhring gab sich in Berlin optimistisch, dass die Erdgasbranche, sowohl bei den Methan- als auch bei den CO2-Emissionen große Fortschritte erzielen kann, wenn man ihr die Zeit dafür lasse. "Die einzelne Heizung und das einzelne Auto schaffen wir heute schon, aber nicht alle über Nacht." /mt