Die EU muss nicht nur ein Ziel von mindestens 55 Prozent CO2 verabschieden müssen, sondern auch eines ohne Buchungstricks", fordert Brick Medack. (Foto: E3G)
Berlin (energate) - Um auf dem anstehenden Sondergipfel der UN zum Klimaschutz ihrer Vorreiterrolle tatsächlich gerecht zu werden, eine internationale Blamage zu vermeiden und ein starkes Signal an die Staatengemeinschaft zu senden, muss die EU diese Woche ein neues Klimaziel für 2030 von mindestens 55 Prozent ohne Buchungstricks verabschieden. Bundeskanzlerin Merkel und der Bundesregierung kommt dabei eine Schlüsselrolle zu.
Ein Gastkommentar von Brick Medak, Leiter Berlin Büro der Denkfabrik E3G
Der EU steht diese Woche mal wieder ein historischer Gipfel bevor. Nicht nur will man den Streit um Rechtsstaatlichkeit, den EU-Haushalt und die Corona-Hilfen mit Polen und Ungarn lösen sowie einen Brexit-Deal absegnen, sondern auch ein neues Klimaziel verabschieden. Am Tag nach dem EU-Gipfel findet zudem ein UN-"Ambitionsgipfel" genau fünf Jahre nach Verabschiedung des Klimaabkommens von Paris statt, auf dem viele Staaten neue Klimaziele präsentieren wollen. Zudem müsste hier auch ein Fahrplan für das für den Klimaschutz entscheidende Jahr 2021 mit dem UN-Klimagipfel in Glasgow im November verabschiedet werden. Bei all dem kommt Bundeskanzlerin Angela Merkel und der Bundesregierung als derzeitiger EU-Ratspräsidentschaft eine herausragende Rolle zu.
Es droht eine internationale Blamage
Der eigentlich für November 2020 angesetzte UN-Klimagipfel musste wegen der Coronapandemie verschoben werden. Trotzdem haben ausgehend von der Ankündigung der EU, ihr Klimaziel für 2030 auf mindestens 55 Prozent im Vergleich zu 1990 zu erhöhen und bis spätestens 2050 Klimaneutralität zu erreichen, verschiedene Länder wie China, Südkorea, Südafrika, Japan und Kolumbien ähnliche Schritte verkündet. Zudem hat etwa der designierte US-Präsident Biden angekündigt, dem Pariser Abkommen wieder beizutreten, aus dem sein Vorgänger Trump noch vor einigen Wochen ausgetreten war. Weitere Länder haben angekündigt, auf dem UN-Gipfel am 12. Dezember nachziehen zu wollen. Großbritannien hat letzte Woche ein Ziel von 68 Prozent verkündet und damit die EU noch weiter unter Zugzwang gesetzt. Dieses "Race to Zero" in Richtung Klimaneutralität dürfte auch andere Staaten zu mehr Klimaschutz anregen. Die Dominosteine sind damit aufgestellt. Gleichzeitig ist aber auch klar, dass die derzeitigen Ankündigungen nicht ausreichen, um die Pariser Klimaziele auch tatsächlich zu erreichen. Die Staatengemeinschaft würde ihre Ziele also nochmals nachschärfen müssen.
Während die Ankündigung der EU dieses Klima-Domino maßgeblich in Gang gesetzt hat, müssen die EU-Regierungschefs auf ihrem Gipfel das Ziel für 2030 erst noch endgültig verabschieden, um den internationalen Erwartungen gerecht zu werden und die Dominosteine auch tatsächlich anzustoßen. Auf das Ziel der Klimaneutralität bis spätestens 2050 und ein Klimaschutzgesetz zu dessen Umsetzung hat man sich in Grundzügen schon geeinigt. Zusätzlich belastet der Streit mit Polen und Ungarn um die EU-Gelder unter Umständen auch die Verhandlungen zum Klimaschutz. Gelingt der EU diese Woche keine Einigung zum Ziel für 2030, käme das einer internationaler Blamage gleich und würde einen Rückschlag für den internationalen Klimaschutz bedeuten. Da Bundeskanzlerin Merkel und der Bundesregierung die Rolle zukommt, auf dem EU-Gipfel einen ehrgeizigen Kompromiss zu finden, wäre ein Scheitern der EU auch eine große Schlappe für beide.
Es wird aber beim UN-Gipfel nicht nur darauf ankommen, dass die Staaten höhere Klimaziele verkünden, sondern auch konkret aufzeigen, wie sie diese Ziele tatsächlich erreichen wollen. Ein reiner Ankündigungsgipfel würde die Glaubwürdigkeit der Staatengemeinschaft beschädigen. Auch hier kommt Deutschland wieder eine Schlüsselrolle zu. Beim Ziel der EU, das aufgrund der Vorbildrolle eine starke Signalwirkung für die anderen Staaten hat, geht es nämlich nicht nur um die Höhe, sondern auch darum, dass dieses Ziel ohne Buchungstricks verabschiedet wird.
EU-Klimaziel mit Buchungstricks würde die Glaubwürdigkeit der EU gefährden
Noch gibt es Streit vor allem zwischen Staaten aus Osteuropa und dem Rest der EU, auf was für ein Ziel genau man sich einigen soll und wie die Gelder zum Erreichen des Ziels verteilt werden. Während die EU-Kommission im Sommer ein Ziel von netto 55 Prozent vorgeschlagen hat, fordert das EU-Parlament 60 Prozent. Klimawissenschaftlern zufolge wären zum Erreichen der Pariser Klimaziele mindestens 65 Prozent notwendig. Uneinigkeit gibt es vor allem noch über die Frage des Netto-Ziels. Also darüber, ob in das Ziel auch CO2-Senken zum Beispiel durch Aufforstung von Wäldern einbezogen werden sollen.
Ein Netto-Ziel bringt dabei zahlreiche Probleme mit sich, die man vermeiden könnte, indem zwei separate Ziele vereinbart werden - eines für die eigentliche Reduktion von CO2 und ein weiteres für die Entnahme von CO2-Senken. So könnte man die Nachteile von Netto-Zielen wie etwa Intransparenz, fehlende Vergleichbarkeit, Unklarheit und ein schwieriges Monitoring vermeiden. Die EU-Kommission selbst hat bereits ausgerechnet, dass ein Netto-Ziel nur 50 bis 52 Prozent an CO2-Reduktionen bringen würde - statt der avisierten 55. Sollte es auf dem Gipfel nicht gelingen, das Netto-Ziel zu streichen, müssten zumindest als Plan B die EU-Umweltminister im Nachklapp zum Gipfel sicherstellen, dass zwei separate Ziele vereinbart werden.
So wird die EU diese Woche nicht nur ein Ziel von mindestens 55 Prozent verabschieden müssen, sondern auch eines ohne Buchungstricks. Nur so wird sie ihre Glaubwürdigkeit nicht gefährden, damit ein starkes Signal an die Staatengemeinschaft senden und ihrer Vorreiterrolle auf dem UN-Gipfel auch tatsächlich gerecht werden können.
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