Berlin (energate) - Der Übertragungsnetzbetreiber 50 Hertz hat vor einem Stillstand beim Ausbau der Offshore-Windkraft in der Ostsee gewarnt. Im Interview mit energate erinnerte CEO Stefan Kapferer daran, dass das neue Windenergie-auf-See-Gesetz ausdrücklich eine ausgewogene Verteilung zwischen Ost- und Nordsee vor. Tatsächlich sollen von den 40 GW Offshore-Windkraft, die sich Deutschland mit dem neuen Gesetz bis 2030 zum Ziel gesetzt hat, nur 2,5 GW auf die Ostsee entfallen. Anders ausgedrückt laute das Verhältnis von Nord- zu Ostsee 1 zu 16, hielt Kapferer fest. "Eine ausgewogene Verteilung sieht anders aus", beklagte er. Dies halte er für falsch, "weil wir in der Ostsee über küstennahe Flächen verfügen, die relativ günstig erschlossen werden können", erklärte der 50-Hertz-CEO.
Flächenpotenzial vorhanden
Die Anbindung von Ostsee-Windparks an das Festlandnetz fällt in die Verantwortung von 50 Hertz. Kapferer sieht kurzfristig verfügbares Flächenpotenzial für insgesamt 2 GW, "die kostengünstig und mit geringem Aufwand zusätzlich für den Erneuerbaren-Ausbau in der Ostsee genutzt werden können". Dazu zähle etwa eine bereits vorentwickelte Fläche nördlich des Darß, "die bei der Umstellung auf das zentrale Modell hinten runtergefallen ist", erklärte Kapferer. Dass der Ausbau der Offshore-Windkraft in der Ostsee zum Erliegen kommen müsse, weil keine Flächen mehr da seien, sei "schlichtweg falsch". Kapferer erinnerte auch daran, dass die Abregelungen im Stromnetz hauptsächlich in den Küstenländern der Nordsee aufträten, während das Netz in Mecklenburg-Vorpommern "noch Potenzial" habe. Auch deshalb sei ein weiterer Ausbau der Ostsee-Kapazitäten sinnvoll.
Neben der Anbindung von Offshore-Windparks bemüht sich 50 Hertz auch um die Vermaschung des Stromnetzes in der Ostsee. "Mit großem Interesse" beobachtet der Netzbetreiber dabei auch die Pläne auf dänischer Seite, auf der Insel Bornholm einen "Energy Hub" zu errichten (
energate berichtete). Mit dem dänischen Netzbetreiber Energinet befindet sich 50 Hertz im Austausch, das Projekt auch an das deutsche Netz anzuschließen. "Wir haben unsererseits die Wirtschaftlichkeit einer solchen Investition geprüft und kommen zu positiven Ergebnissen", zeigte sich Kapferer optimistisch. Erst kürzlich hatten Deutschland und Dänemark eine Kooperation beim Bau solcher Energieinseln auf hoher See vereinbart (
energate berichtete).
70-Prozent-Regel in der Kritik
Im Kontext des Ausbaus des Offshore-Stromnetzes übte Kapferer derweil Kritik an der "unflexiblen 70-Prozent-Regel" der EU-Kommission. Diese schreibt Netzbetreiber vor, bei grenzüberschreitenden Leitungen 70 Prozent der verfügbaren Kapazität für Handelsgeschäfte vorzuhalten. "Jetzt lässt sich aber beobachten, dass viele Mitgliedsstaaten noch einen weiten Weg gehen müssen, um dieses 70-Prozent-Ziel zu erfüllen", sagte Kapferer. Von daher mache es sicherlich Sinn, "sich diese Regelung noch mal genauer anzuschauen". 50 Hertz hatte erst kürzlich für die innovative Offshore-Verbindung Combined Grid Solution eine Ausnahme von der Regel erwirkt (
energate berichtete). /rb
Das gesamte Interview mit 50-Hertz-CEO Stefan Kapferer lesen Sie im heutigen Add-on Strom.