Wien (energate) - Als Reaktion auf den massiven Frequenzabfall am 8. Jänner in den Stromnetzen Europas fordert die heimische Stromwirtschaft erhebliche Investitionen in das Energiesystem. Nötig seien aber auch entsprechende Anstrengungen von politischer Seite sowie ein entsprechendes Bewusstsein in der Öffentlichkeit, um die Versorgungssicherheit weiterhin auf dem heute sehr hohen Niveau zu halten, so Michael Strugl, Präsident von Oesterreichs Energie. "Ein Blackout würde in Österreich Kosten von 1,18 Mrd. Euro pro Tag verursachen. Zum Vergleich: Der Lockdown kostet etwa 0,7 Mrd. Euro täglich", so Strugl.
Zu diesem Beinahe-Blackout stellte Gerhard Christiner, Konzernchef des Übertragungsnetzbetreibers APG, die jüngsten Erkenntnisse europäischer Netzbetreiber vor. Laut der Analyse der EU-Dachorganisation Entso-E hat es an diesem Tag ungewöhnlich hohe Stromflüsse vom Südosten in den Westen Europas mit einem Volumen von 6.000 MW gegeben. Um 14:04 Uhr fiel in im Umspannwerk Ernestinovo in Kroatien eine Kupplung aus, daraufhin verlagerten sich die Stromflüsse auf die benachbarten Leitungen und überlasteten diese. Weniger als 30 Sekunden später fielen in der Region 14 Stromleitungen aus, woraufhin es zu einem Split des europäischen Stromnetzes in zwei Teile kam. energate berichtete mehrfach darüber (energate berichtete).
"Die Vulnerabilität ist größer geworden"
Entso-E kündigte jetzt an, dass eine Expertenkommission die Ereignisse weiterhin untersuchen wird (energate berichtete). "Die Behebung der Störung hat jedoch am 8. Jänner hervorragend funktioniert. Ein großer Dank an dieser Stelle auch an die Kraftwerkbetreiber", betonte dazu abermals Christiner. In Österreich kam bei der Primärregelreserve, die ein Volumen von 57 MW hatte, Wasserkraft mit 86 Prozent zum Einsatz. 14 Prozent steuerten Batterien bei. Sekundärregelreserve wurde an diesem Tag nicht abgerufen. Bei der Tertiärregelreserve spielte ebenfalls Wasserkraft die größte Rolle, rund 6 Prozent lieferten thermische Anlagen und 11 Prozent Anlagen der Industrie.
Als Reaktion auf die Störung und angesichts der weiter steigenden Volatilität in den Stromnetzen seien jedoch erhebliche Anstrengungen im Bereich Versorgungssicherheit nötig, betonte Strugl weiter. "Die Dekarbonisierung des Energiesystems ist gut und richtig. Mit dem Ausbau der Erneuerbaren ist aber die Vulnerabilität größer geworden. Die Anforderungen an unsere Netze, Kraftwerke und Speicher wachsen. Gleichzeitig schwinden unsere gesicherten Kapazitäten."
Lücke zwischen Erzeugung mit Erneuerbaren und Verbrauch
So klaffte nach Daten der APG in den Wintermonaten des Jahres 2020 zwischen der Stromerzeugung mit Erneuerbaren und dem Verbrauch eine Lücke von bis zu 8 GW. Die Kosten für Redispatch betrugen trotz des krisenbedingt gesunkenen Verbrauchs 134 Mio. Euro. Zum Vergleich: Fünf Jahre zuvor musste die APG noch 23 Mio. Euro dafür aufwenden. Berechnet man den in den nächsten Jahren geplanten Ausbau der Erneuerbaren um 27 Mrd. kWh mit ein, so wird die Stromerzeugung mit Wasserkraft, Windkraft und PV die Lastkurve im Sommer 2030 um teilweise mehr als das Doppelte übersteigen. Im Winter 2030 dagegen wird es auch dann eine Lücke von bis zu 10.000 MW geben. "Mit einer Versorgung von 100 Prozent aus Erneuerbaren gewinnen die gesicherte Leistung und Speicher, aber auch Stromimporte an Bedeutung", so Strugl. Er schätzt den künftigen Speicherbedarf auf 10 TWh im Jahr, hauptsächlich durch die saisonale Verlagerung vom Sommer in den Winter.
Die in den nächsten Jahren notwendigen Investitionen in Erneuerbare und in Stromnetze bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit beziffert der Branchenverband Oesterreichs Energie auf 43 Mrd. Euro, wobei 25 Mrd. Euro auf den Ausbau der Wasserkraft, Windkraft und PV entfallen und 18 Mrd. Euro auf die Infrastruktur, insbesondere die Stromnetze. Nötig seien aber auch bessere Rahmenbedingungen für einen schnelleren Ausbau und eine viel engere Zusammenarbeit der Gebietskörperschaften. Weiters betonte Strugl die künftige Bedeutung von grünen Gasen: "Gaskraftwerke und hocheffiziente KWK-Anlangen spielen als gesicherte Kapazitäten auch mittelfristig eine wichtige Rolle bei der Versorgungssicherheit." Nun müsse an der "Entwicklung realistischer Szenarien für den Einsatz und die Verfügbarkeit grüner Gase", etwa auf Basis von Wasserstoff, gearbeitet werden. /pm