Berlin (energate) - Energiewirtschaft und Industrie ringen um den noch knappen Wasserstoff. Beide Seiten verweisen auf den Druck, die verschärften EU-Klimaziele zu erreichen. Offen zutage trat der Konflikt auf der "BDEW-/VDE-Fachtagung Wasserstoff" bei einem Streitgespräch zwischen Eva Hennig vom Stadtwerkeverbund Thüga und Felix Seebach vom Chemiekonzern BASF. "Deutschland ist zu klein, zu bevölkerungsstark und mit zu kleinen Erneuerbaren-Energien-Potenzialen ausgestattet, als dass wir es uns leisten können, jeden Sektor mit Wasserstoff zu fluten", eröffnete Seebach das Wortgefecht. In seinen Augen steht die Industrie unter weit höherem Transformationsdruck, um die europäisch gesetzten CO2-Reduktionsziele zu erreichen als der Wärmesektor, der alternativ mit Wärmepumpen und Verbrauchsreduktion erfolgreich sein könne.
"Wir verfeuern den Wasserstoff eben nicht in unseren Kraftwerken, sondern nutzen ihn komplett stofflich", gab Seebach zu bedenken. Allein am BASF-Standort in Ludwigshafen entfällt die Hälfte der insgesamt 8 Mio. Tonnen CO2-Emissionen auf die Nutzung von grauem Wasserstoff für die chemischen Prozesse. Zwar arbeitet der Konzern mit einer Pilotanlage an einer eigenen Wasserstoff-Produktion per Methanpyrolyse (
energate berichtete). Denn diese verbrauche nur 10.000 kWh Strom für die Produktion einer Tonne Wasserstoff und damit nur 20 Prozent im Vergleich zum "extrem stromintensiven Prozess" der Elektrolyse mit Wasser und Ökostrom. Investitionen in die Eigenproduktion reichten aber bei Weitem nicht aus, um die CO2-Emissionen am Standort gegen Null herunterzufahren. Wasserstoffbeimischungen für alle Kunden über die allgemeinen Gasnetze sind in den Augen der BASF keine Alternative, weil die chemischen Prozesse auf möglichst reines Erdgas ausgelegt sind.
Kleine Industriekunden brauchen auch Wasserstoff
Die Thüga-Vertreterin, die im Namen von etwa 100 Stadtwerkeunternehmen sprach, wollte die exklusiven Ansprüche von vier oder fünf großen Industrieparks an ein eigenes Wasserstoffnetz nicht durchgehen lassen, auch weil dies "unbezahlbar" wäre. "Die Konzentration auf Chemie, Stahl und Düngemittel heißt nur, dass der Rest keinen Wasserstoff bekommen wird; das geht nicht in einem Land wie Deutschland", argumentierte Hennig. Mehr als die Hälfte der Industriegase werde heute über die Verteilnetze verteilt.
Neben den reinen Wasserstoffnetzen auf Verteilnetzebene sieht Hennig durchaus eine Daseinsberechtigung für Beimischungen für alle Kunden inklusive Gasheizungsbesitzer. Nicht nur die Industrie, sondern auch der Wärmemarkt und der öffentliche Nahverkehr stünden unter starkem Transformationsdruck: "Wir müssen in den nächsten neun Jahren die Emissionen im Wärmesektor halbieren und das ist definitiv nicht machbar allein mit Wärmepumpen oder indem wir deklarieren, dass die Effizienz der Gebäude jährlich auf bis zu 4 Prozent steigen müsste." Der BASF-Vertreter mahnte in diesem Punkt, dass die Wasserstoffmengen nicht für alle ausreichen. "Ich will ja nicht ihre Zahlen herausfordern, aber ich bezweifle, dass wir es schaffen, bis 2030 mit gigantischen Wasserstoffmengen den Wärmemarkt zu dekarbonisieren." Auf ihrer Seite hat die Industrie dabei das Bundeswirtschaftsministerium, das im laufenden Jahrzehnt keine Einsatzmöglichkeiten für Wasserstoff im Wärmemarkt sieht (
energate berichtete).
Süden nicht vergessen
Einig waren sich der Konzernvertreter und die Kommunalvertreterin aber in einem Punkt: In ihrer Kritik an der anfänglichen Konzentration der Wasserstoffproduktion im Nordwesten, wo Fernleitungsnetzbetreiber auch ein Startnetz planen. "Ein Industrieland wie Deutschland kann es sich nicht leisten, den Südwesten oder den Süden munter abzuklemmen", so Seebach, dessen Standort im rheinland-pfälzischen Ludwigshafen liegt. Hennig warb hier für "viel Traffic" auf den Wasserstoffnetzen der unterschiedlichen Netzebenen, um den Wasserstoff möglichst günstig in alle Richtungen transportieren zu können. Die vielen kleinen Wasserstoffproduktionen, die lokal mit Windenergie oder Sonnenstrom möglich wären, ließen sich eben nicht an ein 80-Bar-Netz anschließen. /mt