Berlin (energate) - Die Umstellung der Erdgasversorgung auf grüne Gase wie Biomethan und klimaneutraler Wasserstoff kann einen erheblichen Beitrag zur Wärmewende leisten. Vor allem trägt sie dazu bei, die Dekarbonisierung der Wärmeversorgung bezahlbar zu machen. Zu diesem Ergebnis kommt die Nymoen Strategieberatung in einer aktuellen Studie (energate berichtete). Über die Ergebnisse sprach energate mit Geschäftsführer Håvard Nymoen.
energate: Herr Nymoen, Ihr Unternehmen befasst sich in der Studie "Klimaneutral wohnen" nicht zum ersten Mal mit dem Thema bezahlbare Wärmewende. Was sind die zentralen Ergebnisse und wie passen sie ins Gesamtbild Ihrer Untersuchungen?
Nymoen: Bei der Studie "Klimaneutral Wohnen" steht erneut die Finanzierbarkeit der Wärmewende im Mittelpunkt. Und erneut haben wir dafür das Instrument der Sanierungsfahrpläne gewählt. Veränderungen gab es im Wesentlichen durch die Zielverschärfung, nämlich die Klimaneutralität 2050, und durch die Veränderung der Regulatorik wie sie mit dem Brennstoffemissionshandelsgesetz einhergeht. Hinzukommen Veränderungen des Fördermittelrahmens etwa durch die Richtlinien zur Bundesförderung für effiziente Gebäude. Und dann hat natürlich auch die Diskussion um Wasserstoff als Lösungspfad in den letzten Jahren enorm an Dynamik gewonnen.
Das zentrale Ergebnis der Studie ist, dass auch unter den veränderten Rahmenbedingungen die Klimaneutralität erreichbar und finanzierbar ist. Interessant ist dabei, wie das erreicht werden kann. Auf Basis von 1.760 Sanierungsfahrplänen, mit denen wir den heutigen Gebäudebestand abgebildet haben, ergibt sich folgendes Bild: Rund 55 Prozent der CO2-Einsparungen in 2050 werden durch die Dekarbonisierung der Energieträger erzielt, also durch die Dekarbonisierung des Stroms und der Fernwärme und den Einsatz grüner Gase. Weitere rund 25 Prozent der CO2-Einsparungen stammen aus dem Neubau im Niedrigenergie- und Passivhausstandard und dem Ersatz ineffizienter Altbauten. Und rund 20 Prozent der CO2-Einsparungen werden durch die Sanierung existierender Gebäude erreicht, also zum Beispiel durch effizientere Heizungsanlagen oder die Dämmung verschiedener Gebäudeteile oder den Einbau neuer Fenster. Insgesamt spielt also der Einsatz erneuerbarer und dekarboniserter Energieträger die entscheidende Rolle für die bezahlbare Energiewende.
energate: Wie haben Sie die Entwicklung der Gasversorgung in Ihrer Studie modelliert und welche Preisentwicklung liegt Ihrer Studie zugrunde?
Nymoen: Wir haben in unserer Studie zwei gasbasierte Produkte modelliert. Ein reines Wasserstoffprodukt, das ab 2030 zur Verfügung steht und zunehmend an Bedeutung gewinnt. Und einen sogenannten Gasmix auf Basis des heutigen Erdgases. Dieser Gasmix wird durch Biomethan und geringe Wasserstoffbeimischung von maximal 20 Volumenprozent bis 2050 komplett grün und kann in der existierenden Erdgasinfrastruktur genutzt werden. Parallel zum Aufwuchs des Wasserstoffprodukts und der Umstellung der Erdgas- auf Wasserstoffnetze schmilzt der Gasmix bis 2050 stark ab. Für die Entwicklung der Energiepreise wurde eine Preissteigerung in Höhe von einem Prozent/Jahr angenommen. Die Annahmen zu den Wasserstoffpreisen basieren auf einer Studie des Ewi zu den Wasserstoffgestehungskosten. Wir haben zudem eine Steigerung des CO2-Preises bis 2050 auf 180 Euro pro Tonne berücksichtigt
energate: Welche Empfehlungen leiten Sie aus den Ergebnissen ab?
Nymoen: Die gesellschaftliche Akzeptanz der Energiewende insgesamt und der Wärmewende im Besonderen wird immer stärker von den finanziellen Auswirkungen der Umsetzung getrieben. Die vorliegende Studie zeigt, dass Klimaneutralität im Gebäudebestand finanzierbar ist. Sie zeigt aber auch sehr deutlich, dass es dazu den Dreiklang aus Gebäudeeffizienz, effizienter Heizungstechnologie und CO2-freien Energieträgern braucht.
Wir haben daraus sechs Handlungsempfehlungen abgeleitet: So sollte zum einen die Politik die Finanzierbarkeit als Maßstab nutzen und CO2-Zielvorgaben statt Maßnahmenvorgaben setzen. Zum anderen muss die Machbarkeit der Umsetzung sichergestellt werden, hier geht es vor allem um den Fachkräftemangel, der zu einer Bedrohung der Wärmewende werden kann.
Drittens sollte die Politik den Einsatz klimaneutraler Energieträger forcieren und dabei alle erneuerbaren und dekarbonisierten Energieträger und die zugehörigen Anwendungstechnologien als Klimaschutzlösung in Regulatorik und Förderprogrammen akzeptieren. Viertens muss "H2-readiness" als Standard sowohl in Infrastruktur als auch bei der Gerätetechnologie gesetzt werden. Der Neubau im Wohngebäudebereich muss beschleunigt werden. Und sechstens schließlich braucht es eine stabile Förderkulisse.
Die Fragen stellte Thorsten Czechanowsky, energate-Redaktion Essen.
Anmerkung der Redaktion: energate und die Nymoen Strategieberatung gehören beide zur Conenergy-Unternehmensgruppe.