Berlin (energate) - Eine reine Elektrifizierung des Wärmemarktes wäre nicht nur teuer, sondern könnte auch eine gewaltige Stromlücke verursachen. Davor warnen Michael Riechel, Präsident des Deutschen Vereins des Gas- Wasserfaches (DVGW) und Thüga-Vorstandschef sowie der DVGW-Vorstandsvorsitzende Gerald Linke im gemeinsamen Interview zum Auftakt der energate-Sommerserie zur Wärmewende. Hintergrund ist, dass die Bundesregierung aktuell bei der Dekarbonisierung des Wärmemarktes stark auf die Wärmepumpe setzt. Der Einsatz von Wasserstoff in Erdgasheizungen hat in der Politik dagegen aktuell keine Priorität. "Die Elektrowärmepumpe als Silver Bullet zu sehen, hat enormes Rückschlagpotenzial", warnte dagegen DVGW-Vorstandschef Linke. Er verwies darauf, dass in Heizungskellern hierzulande aktuell eine Wärmeleistung von 275.000 MW über Gas bereitgestellt werde. "Wenn Sie das mit Strom machen wollen, dann müssen Sie 275 Großkraftwerke bauen, um diese Spitzenleistung abzudecken." Dies sei jenseits jeglicher Leistung, die das Stromnetz heute zur Verfügung stelle. "Wir laufen sehenden Auges auf ein erhebliches Problem zu, wenn wir hier wieder nur monokausal auf eine Lösung setzen", so Linke.
Wasserstoff im Wärmemarkt günstiger
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Aus Sicht von Riechel und Linke wird Wasserstoff derzeit zu Unrecht aus dem Wärmemarkt ausgeklammert. "Wir haben im Gassektor schon heute in großen Teilen die Infrastruktur von morgen. Das ist ein Zeitvorsprung", betonte Thüga-Vorstandschef und DVGW-Präsident Riechel. Bei den Kunden herrsche eine hohe Akzeptanz für Gas. Dies zu ignorieren, sei falsch. "Es kann doch nicht angehen, dass 20 Mio. Haushalte politisch in eine Richtung gedrängt werden, die am Ende zu Mehrkosten führt", so Riechel. Ihre Argumentation stützen beide auf eine aktuelle, vom DVGW beauftragte Studie von Frontier Economics, die zu dem Ergebnis kommt, dass die CO2-Vermeidungskosten beim Einsatz von Wasserstoff im Wärmemarkt niedriger liegen als etwa im Verkehrssektor (energate berichtete). Die Politik müsse sich fragen, ob es sinnvoll sei, mit dem teuersten Sektor zu starten oder dort anzusetzen, wo es günstiger und damit sozialverträglicher ist, so Linke.
Die Beschränkungen beim Einsatz von grünem Wasserstoff beruhen vor allem auf der Annahme, dass dieser auf längere Sicht ein knappes Gut bleiben wird. Auch dies ist aus Sicht von Riechel und Linke falsch. Sie verweisen auf eine aktuelle Studie von Gas for Climate, nach der sich in Europa bis zu 4.000 TWh grüner Wasserstoff erzeugen lassen. "Das entspricht dem heutigen Gasabsatz", so Linke. Es gebe daher kein Versorgungsproblem. "Diese ganze sogenannte Champagnerdiskussion ist völlig fehl am Platz." Entscheidend sei es nun, Hindernisse für den Markthochlauf abzubauen. Linke forderte etwa ein EU-weites Grüngas-Ziel und sprach sich für Quoten aus, damit Anbieter und Nachfrager Planungssicherheit bekommen.
EnWG-Novelle: Ziel gemeinsame Regulierung
Die Ende Juni vom Bundestag beschlossenen EnWG-Novelle und die damit eingeführte Regulierung von Wasserstoffnetzen sind dabei aus Sicht von Linke und Riechel ein erster Schritt, um die Transformation der Energieinfrastruktur, dem Gasnetz, zu beschleunigen. Besonders hervorzuheben sei, "dass sich die Bundestagsabgeordneten klar dafür ausgesprochen haben, dass das Ziel eine gemeinsame Regulierung und Finanzierung von Gas- und Wasserstoffnetzen sein muss", betonte Riechel. Die Gasfernleitungsnetzbetreiber hatten von vornherein für eine gemeinsame Regulierung geworben, die Bundesregierung dies aber mit Verweis auf EU-Recht abgelehnt. DVGW-Vorstandschef Linke hält das für falsch. Die Erdgaskunden von heute seien die Wasserstoffkunden von morgen, beides müsse daher im Regulierungsrahmen zusammengedacht werden. /kw/tc
Das gesamte Interview mit Michael Riechel und Gerald Linke lesen Sie heute im Add-on Gas & Wärme.