Alpbach (energate) - Die Klimaerwärmung und die politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Reaktionen darauf gehören zu den Schwerpunktthemen bei den "Technologiegesprächen" des heurigen "Forum Alpbach" in Tirol. Seitens der Politik kündigte Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) an, dass die ökosoziale Steuerreform im Laufe des nächsten Jahres umgesetzt werden soll. Auch das geplante Klimaschutzgesetz sei in Vorbereitung und werde kommen, so die Ministerin. Gewessler wollte jedoch keinen genauen Zeitpunkt dafür nennen. Der Entwurf für ein Gesetz werde erst vorliegen, "wenn er wirksam ist, wenn er gut ist und uns in Richtung Klimaneutralität 2040 bringt". Darin sei sie sich mit Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) einig, so Gewessler. Die ökosoziale Steuerreform werde präsentiert, "wenn wir eine für beide Seiten gute Lösung haben, für die ökologische Lenkungswirkung und für den sozialen Ausgleich".
Taxonomie: Gewessler erwartet Diskussionen auf EU-Ebene
Auch auf europäischer Ebene sei in den vergangenen Monaten bei der Klassifizierung nachhaltiger Finanzprodukte ("Taxonomie") einiges erreicht worden (energate berichtete). Für den Herbst erwartet Gewessler allerdings noch "eine große Auseinandersetzung" zu diesem Thema in Brüssel, etwa bei der Einstufung von Erdgas als "grün". Laut Andreas Treichl, Präsident des Forum Alpbach und früherer Chef der Erste Bank, sind die neuen Regeln der EU für nachhaltige Investments ein "enorm starker Hebel" für die Klimawende. Für die Banken seien sie aber auch ein Risiko, das Auswirkungen auf die Ertragskraft habe. Treichl hat die Leitung des Forums neu übernommen. Die "Technologiegespräche" werden heuer vom Austrian Institute of Technology (AIT) gemeinsam mit dem ORF-Radiosender Ö1 veranstaltet.
Leuna-Chef Zrost: Alleingänge Europas sinnlos
Rudolf Zrost, Konzernchef des Salzburger Zementherstellers Leube, zeigte sich angesichts der Alleingänge Europas beim Klimaschutz skeptisch. "Es hat keinen Sinn, wenn wir in Europa dekarbonisieren und alle anderen nicht. Das Klima können wir nur retten, wenn alle mitmachen." Von größter Bedeutung sei es, "die Welt dazu zu bringen, bei der Dekarbonisierung mitzumachen". Zudem gebe es das große Problem, dass es zu wenig Energie aus Erneuerbaren gebe. Die Ziele des Erneuerbaren-Ausbau-Gesetzes (EAG) seien bis 2030 "sehr schwer zu erreichen, weil wir ein übermäßig bürokratisch organisiertes Land sind und wir bei jeder denkbaren Investition immer Gegner haben", beklagte er.
Österreich bis 2040 zu dekarbonisieren, bedeute die Umstellung auf elektrische Energie - und die mache heute nur 20 Prozent des gesamten Energieverbrauchs aus. "Wir müssten also fünf Mal so viel elektrische Energie produzieren, und zwar erneuerbar, damit die derzeitige Wirtschaft funktioniert. Ich sehe nicht, wo wir diese produzieren sollen, schon gar nicht bis 2040", betonte Zrost.
Boku-Wissenschaftler Haberl: Transformation wird unterschätzt
Skepsis aus einer anderen Richtung beim geplanten Ausbau der Erneuerbaren ließ Helmut Haberl vom Institut für Soziale Ökologie der Wiener Universität für Bodenkultur (Boku) anklingen: "Kohlekraftwerke brauchen Kohle, Umweltkraftwerke brauchen Umwelt - auch die erneuerbaren Energien haben alle möglichen ökologischen Kosten", so der Wissenschaftler. Der erste und wichtigste Schritt sei die Reduzierung des enormen Ressourcenverbrauchs. Eine kohlenstoffneutrale Erzeugung von Energie benötige sehr viele Technologien, doch dieses Problem könne nicht an die Ingenieurswissenschaften allein delegiert werden. "Es geht uns alle an und das wird die Gesellschaft massiv verändern", so Haberl. Dabei werde der Umbau des Systems "nach wie vor in seiner Größenordnung unterschätzt". Die angesichts des Klimawandels anstehende Transformation der Energiesysteme sei vergleichbar mit der Transformation von der Agrargesellschaft zur Industriegesellschaft. /pm