Berlin (energate) - Im Bundestagswahlkampf versprechen die Parteien aktuell in Sachen Energie- und Klimapolitik viel. Doch was hat die Große Koalition in den vergangenen dreieinhalb Jahren tatsächlich erreicht? energate zieht eine Bilanz auf Grundlage des Koalitionsvertrags, den Union und SPD im März 2018 unterzeichnet hatten. Im Energiebereich verständigten sich die beiden Parteien darin vereinfacht gesagt darauf, die Energiewende voranzubringen, ohne Versorgungssicherheit und Wettbewerbsfähigkeit zu gefährden. Haben die Parteien ihr Versprechen gehalten? Historisch ist sicherlich der im Koalitionsvertrag angekündigte und auch gesetzlich beschlossene Kohleausstieg bis spätestens 2038 zu nennen, verbunden mit den Milliarden an Strukturhilfen für die betroffenen Regionen (energate berichtete).
Weiter langwierige Genehmigungsverfahren
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Was den Ausbau der erneuerbaren Energie angeht, der durch den Kohleausstieg umso dringlicher ist, kann die Legislaturperiode allerdings kaum als Erfolg gewertet werden. So brach der Zubau der Windenergie in der aktuellen Regierungszeit von Union und SPD massiv ein: 2020 gingen Anlagen im Umfang von 1.400 MW ans Netz. 2017 - vor dem Wechsel auf das Ausschreibungssystem - waren es noch 6.600 MW. Einzig die Solarenergie konnte nach langen Jahren schwachen Zubaus wieder zulegen, unter anderem weil der Solardeckel abgeschafft wurde. So gingen 2020 fast 4.900 MW Solarenergie neu ans Netz. Das ist zwar immer noch deutlich weniger als in den Spitzenjahren 2010 bis 2012, als pro Jahr 7.400 bis 7.900 MW neu hinzukamen, aber doch das Drei- bis Vierfache der Jahre 2014 bis 2017.
Grundsätzlich stritten die Koalitionspartner beim Thema Erneuerbare oft, brachten etwa erst mit Verzögerung die im Koalitionsvertrag vereinbarten Sonderausschreibungen für Wind- und Solarenergie auf den Weg - mit geringeren Mengen als ursprünglich angekündigt. Lange Zeit wehrte sich das Bundeswirtschaftsministerium, für 2030 einen höheren Stromverbrauch und damit höhere Ausbauziele anzuerkennen. Ein neues EEG mit höheren Ausbaupfaden bis 2030 haben Union und SPD zwar Ende 2021 beschlossen, das Problem der langwierigen Genehmigungsverfahren besteht aber weiterhin - trotz eines Windkraftgipfels im Wirtschaftsministerium. So ist es nicht gelungen, einen Interessenausgleich zwischen Erneuerbarenbranche sowie Anwohner- und Naturschutzinteressen zu finden, wie im Koalitionsvertrag angekündigt. Immerhin: Umgesetzt wurde mit dem neuen EEG die vereinbarte finanzielle Beteiligung von Kommunen an Projekten.
Wenig Netzausbau, mehr Wasserstoffförderung
Drastisch ist auch die Zielverfehlung beim Netzausbau: Gerade einmal etwas mehr als 800 Kilometer an neuen Leitungen wurden seit 2018 fertiggestellt, im laufenden Jahr nur 120 Kilometer, wie die Bundesregierung in einer aktuellen Antwort an die Grünen-Fraktion einräumte. Der veranschlagte Ausbaubedarf liegt bei mehr als 12.000 Kilometern, fertig sind davon erst 1.700. Dabei hatten Union und SPD einen "ambitionierten Maßnahmenplan" zum schnelleren Ausbau der Stromnetze angekündigt. Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) unternahm mehrere sogenannte Netzausbaureisen, Bund und Länder trafen sich zu einem Gipfel, doch der gordische Knoten aus viel Genehmigungsbürokratie und fehlender Akzeptanz vor Ort wurde nicht durchschlagen. Nicht geliefert hat die Große Koalition zudem bei der angekündigten Reform der Netzentgelte, die die Kosten verursachergerecht verteilen sollte. Auch die netzdienliche Einbindung von flexiblen Verbrauchern, Stichwort §14a EnWG, scheiterte.
Zu den Erfolgen von Union und SPD im Energiesektor gehört neben den bereits erwähnten Beschlüssen zum Kohleausstieg sicherlich, dass sie Rahmenbedingungen für den Markthochlauf von Wasserstoff auf den Weg brachte. Hier ist die Regierung über ihr Koalitionsvereinbarung hinausgegangen, dort war die beschlossene Nationale Wasserstoffstrategie von 2020 gar nicht enthalten. Mit der EnWG-Novelle gibt es nun erstmals eine Regulierung für Wasserstoffnetze: Strom für Elektrolyseure wird von der Umlage befreit, über die IPCEI-Vorhaben erhalten Projekte üppige Fördergelder. Allerdings: Ohne ein deutliches höheres Zubautempo bei erneuerbaren Energien laufen auch diese Vorhaben ins Leere.
Emissionseinsparungen durch Corona
Wie sieht die Bilanz beim Klimaschutz aus? Überraschenderweise hat Deutschland die Klimaziele 2020 erreicht. "Wir setzen das Aktionsprogramm Klimaschutz 2020 und den Klimaschutzplan 2050 mit den für alle Sektoren vereinbarten Maßnahmenpaketen und Zielen vollständig um", versprachen Union und SPD im Koalitionsvertrag. Und in der Tat: Die Gesamtemissionsmenge 2020 hat sich laut Umweltbundesamt im Vergleich zum Jahr 1990 um 40,8 Prozent reduziert. Das Klimaschutzziel 2020 sah eine Reduktion von 40 Prozent gegenüber 1990 vor.
Allerdings ist der Erfolg vor allem auf die Coronapandemie zurückzuführen (energate berichtete). Wegen der Lockdowns und des Einbruchs der Wirtschaft sanken in Deutschland Energieverbrauch, Verkehrsaufkommen und Industrieproduktion. Befürchtet wird daher, dass die Einsparungen nur vorübergehend waren. Vor allem die Reduzierungen im Verkehrssektor sind laut Umweltbundesamt fast komplett darauf zurückzuführen, dass in der Pandemie weniger Auto gefahren und geflogen wurde.
Klimaschutzgesetz musste nachgeschärft werden
Der Gebäudesektor hat in der Klimabilanz indes am schlechtesten abgeschnitten und fiel als einziger Bereich durch. Rund 120 Millionen Tonnen Treibhausgase hat er 2020 ausgestoßen, zwei Millionen mehr als erlaubt. Ein von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) und Innenminister Horst Seehofer (CSU) erarbeitetes Sofortprogramm für zusätzliche CO2-Minderungen im Gebäudesektor hat der Expertenrat für Klimafragen als unzureichend zurückgewiesen (energate berichtete).
Mit dem Klimaschutzgesetz hat die Regierung aber auch einiges auf den Weg gebracht - vor allem den CO2-Handel für die Sektoren Verkehr und Gebäude ab 2021. Hervorgegangen war diese Idee aus dem Klimakabinett mit Bundeskanzlerin Merkel, Umweltministerin Schulze und weiteren Ministern. Sie erarbeiteten das Klimaschutzprogramm 2030 und legten es im September 2019 dem gesamten Kabinett vor. Allerdings gingen dem Bundesverfassungsgericht die CO2-Einsparvorgaben darin nicht weit genug. Deshalb verschärfte die Koalition das Gesetz nachträglich. Ziel ist es nun, dass Deutschland statt im Jahr 2050 bereits 2045 treibhausgasneutral wird. Hierfür wird die nächste Bundesregierung kräftig nachsteuern müssen. /kw/ck
Was die Parteien zur Bundestagswahl 2021 in der Energie- und Klimapolitik versprechen, können Sie unter www.energate-wahlcheck.de überprüfen.