Kassel (energate) - Für den Weg in eine klimaneutrale Zukunft hat sich Wasserstoff zum großen Hoffnungsträger entwickelt. Um eine Wasserstoffökonomie aufzubauen, werden aber kurzfristig große Mengen des Energieträgers benötigt, die über die Elektrolyse von grünem Wasserstoff allein nicht zur Verfügung gestellt werden können. Das gehe nur mit Erdgas, sagt Klaus Langemann, Senior Vice President Carbon Management & Hydrogen von Wintershall Dea, im Interview. energate sprach mit ihm über das Engagement des Explorationsunternehmens bei der Methanpyrolyse von türkisem Wasserstoff.
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Forschung und Entwicklung
Wasserstoff
energate: Herr Langemann, Sie setzen beim Thema Wasserstoff auch auf die Pyrolyse und die Produktion von türkisem Wasserstoff. Wo stehen Sie dabei heute?
Langemann: Im Prinzip verfolgen wir zwei Aktivitäten. Das "älteste" Projekt bei uns im Unternehmen führen wir gemeinsam mit dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT) durch. Dabei geht es um die sogenannte Flüssigmetall-Pyrolyse. Wir glauben, dass das eine gut skalierbare Technologie ist. Essenzielle Fortschritte verzeichnen wir hier in Hinblick auf Reaktormaterialien, die für die weitere Skalierung geeignet sind. Das Eindüsungsverfahren des Erdgases und die Temperaturführung wurden bereits auf gute Umsätze optimiert. Aktuell untersuchen wir, welche Auswirkungen andere Bestandteile im Erdgas auf die Reinheit des Wasserstoffs haben. Wir befinden uns damit noch in der Laborphase, die wir Ende nächsten Jahres abschließen wollen. Im Jahr 2026 möchten wir dann eine erste Pilotanlage laufen haben.
Als zweites Standbein haben wir uns an dem britischen Start-up-Unternehmen "HiiROC" beteiligt, das eine Plasma-Pyrolyse durchführt. Hierbei handelt es sich um eine Technologie, die viel weiter vorangeschritten ist als die Flüssigmetall-Pyrolyse, sodass wir schon im zweiten oder dritten Quartal 2023 planen, eine erste Pilotanlage am Laufen zu haben. Es sind zwar noch einige Herausforderungen zu lösen, aber wir sprechen bereits mit Kunden, die ein riesengroßes Interesse an einer Pilotanlage haben. Bei der Kundenakquise arbeiten wir übrigens mit VNG zusammen, weil wir als Wintershall Dea ja kein Endkundengeschäft haben.
energate: Das heißt, Sie schauen sich bereits mögliche Wertschöpfungsketten an? Welche Möglichkeiten halten Sie denn für die Wasserstoffnutzung für realistisch und wie steht es um den Kohlenstoff, der bei der Pyrolyse anfällt?
Langemann: Anders als beim blauen Wasserstoff gibt es bei der Pyrolyse kein gasförmiges Nebenprodukt, sondern festen Kohlenstoff. Das ist erst einmal ein Vorteil, weil ich keine aufwendige Infrastruktur vorhalten muss. Wenn die Technologie hochskaliert ist, dann sind das natürlich große Mengen, die da anfallen. Wir sind aber optimistisch, dass sich mit den entsprechenden Mengen auch viele Anwendungsmöglichkeiten entwickeln werden. Wir sehen momentan, dass man abhängig davon ist, wie man die Pyrolyse-Anlage fährt, verschiedene Kohlenstoff-Qualitäten herstellen kann, zum Beispiel einen graphitischen Kohlenstoff, der leitfähig ist und für den man sich viele Anwendungen etwa im Straßen- oder Gebäudebau vorstellen kann. Wir denken in verschiedene Richtungen und sprechen mit potenziellen Partnern über unterschiedliche Nutzungsmöglichkeiten, etwa als Rohstoff in der chemischen Industrie oder auch als Verbundkohlefaser, die Stahl ersetzen kann.
Wasserstoff sehen wir im Wesentlichen im Industriesektor, also: Stahl, Chemie und Raffinieren. Auch im Transportsektor sehen wir einen Wachstumsmarkt, etwa bei LKWs, Schiffen oder Zügen. Bei PKWs dagegen scheint es sich in Deutschland eher dahin zu entwickeln, dass alles auf Elektromobilität geht. Auch beim Wärmemarkt sind die Weichen noch nicht gestellt. Bei modernen Gebäuden ist Strom wahrscheinlich das Mittel der Wahl, aber es gibt Analysen, die zeigen, dass Wasserstoffheizungen in energetisch nicht gut gedämmten Gebäuden Sinn ergeben. Unser derzeitiger Fokus liegt aber auf dem Industriesektor.
energate: Mit welchen Kosten rechnen Sie denn bei der Produktion von türkisem Wasserstoff?
Langemann: Wenn man die verschiedenen Technologien vergleicht, dann sind wir bei grünem Wasserstoff heute noch zwischen Gut und Böse. Natürlich werden wir eine Kostendegression sehen, aber noch ist das sehr teuer. Das zukünftige Preisniveau von blauem und türkisem Wasserstoff wird, wenn die Technologien ausgereift sind, sehr vergleichbar sein. Der entscheidende Faktor wird sein, was man für seinen Kohlenstoff bekommt, ob es gelingt, Kohlenstoff für einen guten Preis zu verkaufen. Dann sehe ich türkisen Wasserstoff in den kommenden Jahren sogar als die günstigste Variante.
energate: Für blauen und türkisen Wasserstoff benötigen Sie Erdgas, wie stehen Sie denn zum Thema Methanemissionen?
Langemann: Wir lösen mit diesem Ansatz das Problem des Klimawandels nicht zu hundert Prozent, können aber mit erdgasbasiertem Wasserstoff eine ganz erhebliche Reduktion der Treibhausgase im Vergleich zur heutigen Situation erreichen. Natürlich sind blauer und türkiser Wasserstoff nicht emissionsfrei, weil die Produktions- und Transportkette von Erdgas geringe Mengen Emissionen mit sich bringt. Als Wintershall Dea sind wir bei der Initiative zur Reduktion von Methanemissionen bei der Erdgasproduktion sehr engagiert und haben uns das Ziel gesetzt, weniger als 0,1 Prozent Methanschlupf bei unseren Aktivitäten zu erreichen. Da sind wir gut aufgestellt. Für kohlenstoffarmem Wasserstoff müssen auch die Lieferketten emissionsarm sind. Das gilt im Übrigen auch bei grünem Wasserstoff: Wenn nicht direkt erneuerbarer Strom eingesetzt wird und auf einen im Jahr 2030 prognostizierten Strommix zurückgegriffen werden muss, gibt es immer noch 16 bis 17 Kilogramm CO2 pro Kilogramm Wasserstoff, weil noch relativ hohe fossile Anteile im Strom stecken.
energate: Derzeit sondieren SPD, Grüne und FDP Möglichkeiten für eine Ampelkoalition. Haben Sie einen Wunsch an eine neue Bundesregierung?
Langemann: Ich wünsche mir vor allem Technologieoffenheit. Wir sollten uns anschauen, welche Technologie kommerziell, umweltpolitisch und gesellschaftlich die besten Möglichkeiten bietet, um kohlenstofffrei zu werden. Ich glaube, wir können mit erdgasbasiertem Wasserstoff sehr gut eine Brücke bauen, die zur Klimaneutralität führt. Um die Wasserstoffindustrie in Gang zu bringen, müssen Kundenprozesse umgestellt und die Infrastruktur angepasst werden. Dafür müssen wir kurzfristig große Mengen Wasserstoff bereitstellen und das geht aus unserer Sicht nur erdgasbasiert.
energate: In der politischen Diskussion hat der grüne Wasserstoff Vorrang. Die benötigten Mengen sollen Importe über internationale Allianzen sicherstellen.
Langemann: In Deutschland gucken wir zu sehr darauf, wie es in 30 oder 50 Jahren sein soll, aber wie wir dahin kommen wollen, wird aus meiner Sicht zu oft vergessen. Wir sind doch in Deutschland in der vorteilhaften Situation, dass eine Vielzahl von Erdgas-Importpipelines hier anlandet und wir der zentrale Knotenpunkt im europäischen Erdgasnetz sind. Dazu zähle ich Norwegen, Nordafrika und natürlich auch Russland. Wir haben alle Möglichkeiten, aus diesem Erdgas Wasserstoff herzustellen und sind doch auf Schiffsimporte mit deutlich höheren Kosten aus weit entfernten Ländern gar nicht angewiesen. Wir haben eine Infrastruktur, die wir nutzen können, um im Markt Wasserstoff zu erzeugen. Natürlich wird der erdgasbasierte Wasserstoff nicht alle Probleme lösen. Da sind wir uns, glaube ich, alle einig. Aber wir können die Treibhausgasemissionen sehr stark reduzieren und uns in Richtung Klimaneutralität einen großen Schritt nach vorne bewegen.
Das Interview führte Thorsten Czechanowsky