Frankfurt (energate) - Fristgerecht zum 1. Oktober hatte der Frankfurter IT-Dienstleister Venios mit Partnern eine Software zur Umsetzung des sogenannten Redispatch 2.0 vorgelegt. René Kersten, Corporate Development Executive bei Venios, geht davon aus, dass Ökostromanlagen ab 100 kW erst mit einem Jahr Verspätung bei der Stabilisierung der Netze zum Einsatz kommen können. Im energate-Interview erläutert er die Hintergründe.
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Digitalisierung
energate: Herr, Kersten, die für Anfang Oktober vorgesehene Einführung des Redispatch 2.0 wurde verschoben. Kam dieser Schritt für Sie überrascht?
Kersten: Es war schon absehbar, dass ein Großteil des Marktes noch nicht so weit ist und auch die Plattform "connect +" dem Zeitplan hinterhinkt, also noch nicht alle Funktionalitäten zur Verfügung stehen. Ein Alarmzeichen war, dass sich ein Großteil der Verteilnetzbetreiber erst ab Anfang 2021 wirklich intensiv mit dem Thema beschäftigt hat, dabei war schon seit der Verabschiedung des Nabeg klar, dass da was kommen würde.
energate: Auch die Bundesnetzagentur hat die Festlegungen erst im November 2020 vorgelegt. Wie bewerten Sie das?
Kersten: Für den Markt und die Softwarehersteller war das sicher etwas spät. Nicht hilfreich war auch, dass es nachher auch noch weitere Änderungen gab. Das war eine Operation am offenen Herzen.
energate: Wie bewerten Sie die nun vereinbarte Überganglösung beim Redispatch 2.0? Aus dem Markt kommt Kritik, dass diese Risiken einseitig verteilt….
Kersten: Grundsätzlich ist es so, dass das aktuelle Konstrukt ja nicht funktioniert, also braucht es eine Übergangsregelung. Aber die, die wir haben, verteilt die Risiken in der Tat sehr einseitig auf den Markt, die Verteilnetzbetreiber haben einen Freibrief. Das ist schwierig und vor allem wird der Druck rausgenommen.
energate: Rechnen Sie mit weiteren Verzögerungen?
Kersten: Aktuell verzichtet die Bundesnetzagentur ja bis Mai 2022 auf Sanktionen. Im März haben wir eine dreimonatige Testphase, dann sind wir schon im Juni. Insofern gehe ich davon aus, dass der wirkliche Start erst im Oktober 2022 beginnt, also mit einjähriger Verspätung.
energate: Venios hatte die Redispatch-2.0-Prozesse laut eigenen Angaben zum 1. Oktober startklar. Wie ist Ihnen das gelungen?
Kersten: Grundsätzlich ist das kein neues Thema für uns. Wir kennen das Engpassmanagement schon aus Österreich und der Schweiz. Wir konnten also unsere Erfahrungen von dort nutzen und das dann schnell bei unseren Kunden ausrollen. Wir haben das alles in kurzer Zeit mit wenig Personalaufwuchs geschafft. Darauf sind wir schon stolz. Wir bekommen auch weitere Anfragen, etwa von Netzbetreibern, deren Dienstleister die Prozesse nicht so schnell zur Verfügung stellen können, wie die Bundesnetzagentur das fordert.
energate: Die mangelnde Digitalisierung der Verteilnetzbetreiber wurde ja oft kritisiert. War es da nicht grundsätzlich absehbar, dass es mit der Umsetzung eines Projektes wie dem Redispatch 2.0 schwierig werden würde?
Kersten: Das Dilemma was wir erleben, ist so, weil Hausaufgaben nicht gemacht wurden. Dass die Netze digitalisiert werden müssen, ist nicht erst seit gestern bekannt. Aber viele Betreiber sind da zögerlich. Das ist ein Grund, warum Venios viel im Ausland unterwegs ist. Engpassmanagement, Sektorkopplung, automatische Netzführung, das gibt es in den Nachbarländern. In Deutschland wird das aber zu wenig angereizt, auch regulatorisch. Hier lohnt sich die Investition in Kupfer immer noch mehr, die Digitalisierung wurde vernachlässigt, so kam es auch zu den Problemen beim Redispatch 2.0.
energate: War es dann überhaupt sinnvoll, so ein Verfahren anzustoßen?
Kersten: Ich bin überzeugt, dass es auch um ein Signal ging. Der Regulator weiß, dass das Netz nicht mehr so gefahren werden kann wie bisher. Dass es zum Knall kommen würde, war also absehbar, aber wenn sich nichts ändert, passiert auch nichts. Der Redispatch 2.0 ist die Eintrittskarte in die Welt des intelligenten Netzbetriebes.
energate: Das heißt, wenn die Prozesse einmal laufen, werden wir weitere Digitalisierungsstufen erleben?
Kersten: Der Redispatch 2.0 kann schon zum einem Katalysator werden. Wenn wir die Energiewende wollen, brauchen wir Transparenz auf allen Netzebenen. Wenn wir nun die erste Hürde genommen haben, wird die betroffene Anlagenzahl schnell steigen. So kommen wir dann dem digitalen und automatisierten Netz näher. Die nächste weitere Stufe wäre dann Lastverschiebung bei Verbrauchern, da wären wir dann beim Smart Grid.
Die Fragen stellte Karsten Wiedemann.