London (energate) - Bisher konnten LNG-Importe nach Europa die ausbleibenden russischen Erdgaslieferungen durch die Pipelines der Ukraine problemlos ausgleichen. Zu diesem Ergebnis kommt das britische Marktforschungsinstitut IHS Markit in seinem neuen Bericht mit dem Titel "Putting Europe’s Security of Gas Supply to the Test". Die Bedeutung der Transitroute für Europa sei derart gesunken, dass auch die verbliebenen Restmengen verzichtbar wären. Das Bild der europäischen Gasimporte hat sich im Vergleich zum Vorjahr stark verändert. So hätten die russischen Erdgastransite durch die Ukraine im Januar ein historisches Tief von 50 Mio. Kubikmeter pro Tag erreicht - weniger als die Hälfte im Vergleich zum Vorjahr. "Europa erlebt aktuell eine Quasi-Verkürzung russischer Erdgaslieferungen", ordnete Michael Stoppard, Chefstratege von IHS Markit ein.
Nach den Daten des Forschungsinstituts kletterten die LNG-Importe im Januar um 34 Prozent, während die russischen Einfuhren um 17 Prozent sanken. Die USA lieferten 245 Mio. Kubikmeter, ein neuer Rekord. Im Durchschnitt lagen die täglichen Lieferungen bei zusammen 490 Mio. Kubikmetern. In den ersten Februartagen gingen die Importe nochmals deutlich nach oben, am 3. Februar bezifferte IHS Markit die LNG-Einfuhren auf 710 Mio. Kubikmeter. Obwohl die buchbare Regasifizierungskapazität an den europäischen LNG-Terminals im Vorjahresgleich auf ungefähr 25 Prozent zurückging, sei dies noch genug, um auch die verbleibenden Mengen in den ukrainischen Pipelines "relativ komfortabel" zu ersetzen. Allerdings nicht ohne Folgen für das Preisniveau. "Bisher ist es mehr eine Preiskrise als eine physische Versorgungskrise", kommentierte Shankari Srinivasan, Vice President von IHS Markit.
Gazprom meldet Rekordlieferung
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Unterdessen meldet die Betreibergesellschaft der Pipeline Nord Stream einen "Rekord" für das Jahr 2021. 59,2 Mrd. Kubikmeter flossen im vergangenen Jahr durch die Pipeline. Das ist annähernd so viel wie im Jahr 2020 und entspreche einem "historischen Stand seit Betriebsbeginn", teilte die Nord Stream AG mit. Der erste Strang der Pipeline transportierte bisher 441 Mrd. Kubikmeter Erdgas. "Die Nord Stream AG erfüllt konsequent alle Gastransportanfragen", betonte das Unternehmen, hinter dem die Gesellschafter Gazprom, Wintershall Dea, Eon, Gasunie und Engie stehen.
Marktteilnehmer werfen Gazprom vor, bewusst auf mögliche zusätzliche Gaslieferungen zu verzichten - als Druckmittel für eine schnellere Genehmigung des zweiten Pipelinestrangs. Die zuständige Bundesnetzagentur bleibt auch nach der Gründung des Unternehmens "Gas For Europe GmbH" mit Sitz in Schwerin bei ihrem Verfahrensstopp. "Wir können derzeit nicht prognostizieren, wann das Verfahren wieder aufgenommen werden kann", sagte ein Behördensprecher auf energate-Nachfrage. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hält sich nach wie vor mit klaren Äußerungen zurück, ob die Pipeline im Russland-Ukraine-Konflikt im Falle eines Einmarschs russischer Truppen als Sanktionsmöglichkeit tatsächlich in Betracht komme. US-Präsident Joe Biden drohte dagegen bei einem gemeinsamen Treffen mit Scholz offen mit dem Aus der Pipeline.
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