Berlin (energate) - Die skandinavische Strombörse Nordpool ist bereits seit 2006 in Deutschland aktiv. Seit 2019 macht sie dem Platzhirschen, der Börse EEX, mit einer deutschen Niederlassung zunehmend Konkurrenz. energate sprach mit Pietro Rabassi, Director Central European Markets, über die Marktentwicklung und die aktuellen Rekordpreise im Stromhandel.
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Krieg in der Ukraine
Start-Ups
energate: Herr Rabassi, warum sollten Marktteilnehmer bei Ihnen handeln und nicht bei der EEX - und welches Volumen konnten Sie Ihrem Wettbewerber bisher abringen?
Rabassi: Unsere aktuellen Daten zeigen uns, dass wir im deutschen Day-Ahead-Handel inzwischen einen Marktanteil von rund 25 Prozent haben, Tendenz steigend. Im Intraday-Handel sind es jetzt etwa zehn Prozent, ebenfalls mit steigender Tendenz. Die Nemos (Nominated Electricity Market Operators) berechnen ihre Werte leicht unterschiedlich - das ist nicht gut für den Markt und wir drängen auf eine Harmonisierung. Aber wir sind sicher, was unseren Marktanteil angeht - dank der Informationen, die wir von unseren Algorithmen erhalten und die nur den Nemos zugänglich sind. Im laufenden Jahr wollen wir unser Volumen weiter steigern und die Neuzugänge stimmen uns diesbezüglich optimistisch. In Deutschland gibt es inzwischen über 50 Mitglieder, die über Nordpool handeln. Das ist ein guter Erfolg und wir freuen uns über die große Bandbreite, angefangen von zwei Übertragungsnetzbetreibern, Industriekunden, Handelshäusern bis hin zu kleineren Stadtwerken. Deutschland ist aktuell eine zentrale Region in unserer Strategie.
Ich denke, zwei Hauptargumente sprechen für uns. Wir haben die Eintrittsbarrieren für den Handel sowohl für Großkunden, aber vor allem auch für kleinere Kunden gesenkt. Unternehmen können im Rahmen unseres Zugangsmodells auch die Verantwortung für den Handel abgeben, erhalten aber dennoch direkten Zugang zu den Preissignalen. Außerdem erschließen wir neue Märkte, darunter Lösungen für grüne Stromqualitäten und Netzflexibilitäten.
energate: Sie meinen den Handel mit grünen Herkunftsnachweisen? Die EEX hatte vor Jahren versucht, einen solchen Markt in Deutschland zu etablieren, war aber an der mangelnden Beteiligung gescheitert.
Rabassi: Herkunftsnachweise reichen nicht aus. Der Bedarf an Nachweisen für den CO2-freien Stromverbrauch auf Stundenbasis wird wachsen. Hier haben wir uns mit einem Start-up namens Granular zusammengetan. Derzeit planen wir dazu eine Reihe von Workshops. Wir wollen noch in diesem Jahr in Großbritannien starten, mit dem Ziel, langfristig einen gesamteuropäischen Markt zu erschließen. Zunächst werden wir abwarten, wie sich dieser Markt entwickelt. Wenn sich der Bedarf in Deutschland ergibt, werden wir auch hierzulande aktiv werden.
energate: Wo liegen die Unterschiede zwischen dem nordischen und dem deutschen Markt seit dem Start der Strompreisrallye?
Rabassi: Die Preiserhöhungen betreffen ganz Europa. Die Auktion und der kontinuierliche Handel sind ähnlich strukturiert. Der Anstieg der Großhandelspreise für Strom um 200 Prozent und die Volatilität, die wir mittlerweile beobachten, sind in der Tat bemerkenswert. Aber dafür gibt es gute Gründe: der Markt folgt den Fundamentaldaten, die zum Teil durch den von Russland angezettelten Krieg in der Ukraine bedingt sind: die Gaspreise, die teils 400 Prozent höher liegen als vor einem Jahr, verursacht durch einen angespannten globalen LNG-Markt in Verbindung mit dem Wunsch, die Abhängigkeit von russischen Gasimporten zu verringern. Zudem machen sich höhere CO2-Preise und Kohlepreise bemerkbar, ebenso wie geringere Wasserreserven zur Stromerzeugung sowie geringere Winderzeugung als in den Vorjahren. Kernkraftwerksausfälle und geringere zonenübergreifende Netzkapazität als die geplanten 70 Prozent kommen noch hinzu. Zu bedenken ist jedoch, dass sich beispielsweise in Norwegen der Großhandelspreis viel stärker auf die Endverbraucher auswirkt als in Deutschland, wo die EEG-Umlage, die Netztarife und andere Steuern und Abgaben den Endkundenpreis viel stärker beeinflussen.
energate: Was hat sich seit der Inbetriebnahme des Interkonnektors Nordlink zwischen Deutschland und Norwegen geändert?
Rabassi: Neue Interkonnektoren sorgen für mehr Liquidität. Erfreulich ist, dass Nordlink seit seinem Start im Mai 2021 zu 93 Prozent verfügbar war. Aber es gibt immer noch große Preisunterschiede zwischen Norwegen ("NO2") und Deutschland.
Die beispiellose Situation in der Ukraine hat das Nachdenken und auch das Handeln auf die dringende Notwendigkeit einer Diversifizierung von "traditionellen" Energiequellen gelenkt, die zunehmend unrentabel, unzuverlässig oder politisch nicht vertretbar werden. Die bereits ehrgeizigen Ziele für die Dekarbonisierung mussten zwangsläufig vorgezogen werden. Das wiederum rückt die Märkte in den Mittelpunkt, auf denen Strom mit eher unvorhersehbaren Erzeugungseigenschaften - Wind, Sonne, Wasser - am fairsten, offensten und schnellsten gehandelt werden kann. Trotz der Marktvolatilität und der beunruhigenden Entwicklungen an den östlichen Grenzen Europas ist die anhaltende Stärke der Märkte von Nordpool ein guter Beweis dafür, dass die Kunden einen wettbewerbsfähigen und effizienten Stromhandel schätzen und ihm vertrauen.
energate: Angesichts der Folgen für Industrie- und Haushaltskunden wird der Ruf nach Preisobergrenzen und staatlichen Eingriffen aber lauter…
Rabassi: Wenn die Großhandelspreise für Strom auf ein Niveau steigen, wie wir es in letzter Zeit erlebt haben, werden politische Reaktionen immer dringlicher. In einem Umfeld der Ungewissheit und der Sorge um die Versorgungssicherheit scheint es wahrscheinlich, dass die politische Kontrolle zu einer attraktiveren Option wird, um Marktlösungen in Teilen der Industrie zu ersetzen, einschließlich dem Aufbau neuer und langfristiger Kapazitäten. In einem europäischen Markt wird jedoch ein gemeinsamer Markt wahrscheinlich umso weniger gut funktionieren, je nationaler die Reaktionen sind.
energate: Die EEX hat bisher nach eigenen Aussagen von den Rekordpreisen und den Unsicherheiten profitiert, weil ihr Clearinghaus absichert…
Rabassi: Transparenz in diesen turbulenten Zeiten ist in der Tat ein gutes Argument. Ob dies tatsächlich zu höheren Volumina geführt hat, analysieren wir derzeit noch. Zumindest ist die Zahl der Unternehmen, die auf den Börsenhandel umgestiegen sind, gestiegen - auch dank der von Nordpool eingeführten leichteren Zugangsbedingungen.
energate: Wie gut sind die Marktbedingungen für eine konkurrierende Strombörse in Deutschland?
Rabassi: Die Regulierung und das Marktdesign sind in den nordischen Ländern offener für den Wettbewerb als in Deutschland. Die deutsche Monopolkommission hat viel für den Intraday- und Day-Ahead-Handel getan. Die Vorgaben zu gemeinsamen Orderbüchern für den grenzüberschreitenden Handel haben sehr geholfen. Allerdings gibt es immer noch eine Ausnahme für die letzte Handelsstunde. Verbesserungsbedarf sehen wir auch bei der möglichen Entkopplung der Märkte in besonderen Situationen. Auch müssten einige Passagen in Verordnungen noch angepasst werden, beispielsweise die Preislimitierung in Ausnahmefällen (Paragraph 8 Erneuerbare-Energien-Ausführungsverordnung). Wir hoffen sehr, dass Politik und Gesetzgeber gleiche Bedingungen für alle Akteure in Deutschland und anderen europäischen Ländern schaffen werden.
Die Fragen stellte Michaela Tix.