Frankfurt/Main (energate) - Deutschland will unabhängig von Erdgaslieferungen aus Russland werden. Doch fast 50 Prozent aller Wohnungen in Deutschland werden mit Erdgas geheizt. Eine stärkere Elektrifizierung der Wärmeversorgung ist längst Ziel der deutschen Energie- und Klimapolitik. Doch lässt sich die Umstellung von Gasheizungen auf Wärmepumpen beschleunigen? Darüber sprach energate mit Matthias von Bechtolsheim und Heinrich Tissen von der Unternehmensberatung Arthur D. Little.
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energate: Herr von Bechtolsheim, Herr Tissen, ist es sinnvoll, den Einbau von Wärmepumpen zu beschleunigen, um unabhängiger von Erdgasimporten zu werden?
Bechtolsheim: Wenn wir auf die Wärmeversorgung in Deutschland schauen, dann spielt Gas immer noch eine sehr dominante Rolle. Und die aktuellen Wachstumszahlen bei den Wärmepumpen zeigen, es wird noch ziemlich lange dauern, bis sich daran etwas ändert. Wir sehen hier die Möglichkeit und auch die Notwendigkeit, das zu beschleunigen, denn wir sind der Meinung, dass die Wärmepumpe entgegen mancher Auffassung das ideale Instrument ist, um die Wärme CO2-frei zu machen. Hier gibt es nach wie vor viele Vorurteile - aber auch Unkenntnisse. Anders als oftmals kolportiert wird, ist die Wärmepumpe nämlich durchaus auch für ältere Gebäude sinnvoll und nicht per se immer teuer und ineffizient.
energate: Kritiker sagen, in Bestandsgebäuden sei der Einbau einer Wärmepumpe mit umfangreichen Dämmungs- und Sanierungsmaßnahmen verbunden und rechne sich nicht. Das sehen Sie anders?
Tissen: Das ist tatsächlich ein Vorurteil und längst durch Studien widerlegt. Bei vielen Gebäuden ist es gar nicht notwendig, umfassend zu sanieren. Oft reicht es schon zu prüfen, ob die Heizkörper noch ausreichen oder gegen modernere ausgetauscht werden müssen, die mit den geringeren Vorlauftemperaturen zurechtkommen. Es muss auch nicht immer eine Fußbodenheizung eingebaut werden. Auch ohne umfassende Sanierung können Sie mit Jahresarbeitszahlen von um die vier rechnen. Und vor dem Hintergrund steigender Gaspreise - das gilt im Übrigen auch unabhängig von der aktuellen Krise, Stichwort CO2-Steuer - wird es zwangsläufig dazu kommen, dass Alternativen zu einer Gasheizung gesucht werden müssen.
energate: Nachdem die Wärmewende jahrelang auf der Stelle getreten ist, soll jetzt alles ganz schnell gehen. Wie lässt sich die Umstellung beschleunigen?
Tissen: Wenn man sich den Heizungstausch anschaut, dann liegt der Anteil der Wärmepumpe bei grob 20 Prozent der etwa 900.000 Heizungen, die jedes Jahr getauscht werden. Das Tempo muss also deutlich gesteigert werden, um die Klimaschutzziele zu erreichen. Ist das zu leisten? Ja, das ist es, insofern das klare Signal vom Markt kommt, Kapazitäten aufzubauen und Handwerker, die heute in erster Linie noch Gasheizungen installieren, umzuschulen und zu qualifizieren. Das wird nicht von heute auf morgen gehen. Dessen ist sich die Branche auch bewusst. Wir rechnen aber mit einem ähnlichen Effekt wie bei der Elektromobilität. Es wird der Punkt kommen, an dem die Menschen erkennen, dass es sich lohnt, und dann laufen wir in einen Engpass hinein. Es wird eine deutlich höhere Nachfrage geben, als die Branche liefern kann. Nichtsdestotrotz ist das der Weg. Jetzt noch auf Gasheizungen zu setzen, ist kurzsichtig.
Bechtolsheim: Wenn es jetzt wirklich darum geht, sich vom russischen Gas so weit wie möglich abzukoppeln, dann könnte man den Einbau einer Wärmepumpe vorziehen und eventuelle Maßnahmen wie das Dämmen der Kellerdecke nachholen. Zentrale Voraussetzung ist eine saubere Energiebedarfsplanung, das Energieaudit. Mit dem individuellen Sanierungsfahrplan, den der Bund über das Bafa großzügig fördert, gibt es ein Instrument, mit dem die Planung einer Wärmepumpe auf eine solide Basis gestellt wird. Hier gibt es Hebel, mit denen man zu einer Beschleunigung kommen kann.
energate: Sie haben die Fachkräfte angesprochen. Zwei Fragen dazu: Haben wir genug? Und besteht nicht doch die Tendenz, dass Firmen - aus welchen Gründen auch immer - lieber den Einbau einer Gasbrennwertheizung empfehlen als den einer Wärmepumpe?
Bechtolsheim: Das ist sicher ein Thema. Es ist im Vergleich zu einer klassischen Heizung komplexer, eine Wärmepumpe einzubauen, und sie benötigen entsprechendes Know-how. Hinzukommt oft auch das Unwissen aufseiten der Eigentümer. Solche Hemmnisse gibt es, genauso wie den Handwerkermangel. Hier könnte viel erreicht werden, wenn nicht jeder Eigenheimbesitzer individuell entscheidet, wann und wie er seine Heizung umstellt. Es bedarf intelligenter Konzepte, wie man diese Technologie ausrollt, zum Beispiel, indem ganze Straßenzüge umgestellt werden. Hier sind Aufklärung und Quartiersansätze gefragt von den Energieversorgern - aber auch von den Städten und Gemeinden, um einen gewissen Gleichlauf zu erreichen und Dynamik in die Entwicklung zu bringen.
energate: Das heißt, Sie sehen die Kommunen stärker in der Verantwortung?
Bechtolsheim: Am Ende wird es ohne ein Zutun der Politik nicht gehen. Aber sie hat ja auch ein ureigenes Interesse daran, dass vorhandene Infrastruktur sinnvoll genutzt wird. Nehmen Sie zum Beispiel ein Gasnetz, das heute noch 100 Haushalte versorgt. Wenn immer mehr Abnehmer auf alternative Wärmequellen umsteigen, wie lange muss das Netz dann noch gewartet werden? Solche Probleme umgeht man, wenn man koordiniert im Quartier auf Wärmepumpen oder andere Lösungen wie grüne Fernwärme setzt.
Tissen: Beim Stichwort Fernwärme wird im Übrigen die Wärmepumpe in Zukunft auch eine deutlich größere Rolle spielen. Da ohnehin geplant ist, die Vorlauftemperaturen in der Fernwärme zu reduzieren und das wiederum auch die Effizienz und Einbindung der Wärmepumpe verbessert. Hinsichtlich der kommunalen Aufgabe: Es liegt ja ohnehin bei den Kommunen, Klimaschutzkonzepte aufzusetzen und den Pfad zur Klimaneutralität zu erarbeiten. In diesen Konzepten muss die Wärmewende eine bedeutende Rolle spielen. Hier müssen alle entscheidenden Stellen in der Verwaltung, die Wohnungswirtschaft und die Energieversorgung vor Ort eingebunden werden. Und natürlich braucht es auch eine Bürgerbeteiligung, damit Klarheit herrscht, wie in Zukunft Klimaneutralität auf kommunaler Ebene gewährleistet werden soll. Dabei geht es dann auch darum, Optionen zu bewerten und für Investitionssicherheit bei den Immobilienbesitzern zu sorgen.
Die Fragen stellte Thorsten Czechanowsky