Leipzig (energate) - Das Bundesverfassungsgericht hält die in Mecklenburg-Vorpommern verpflichtende Bürgerbeteiligung an Windparks zwar für eine Verletzung der Grundrechte der Betreiber. Gleichzeitig schütze das Gesetz das Klima und fördere die Unabhängigkeit von Energieexporten, was aus Sicht der Richter überwiegt. Helena Lajer und Antje Böhlmann-Balan von der Kanzlei Prometheus erklären das Urteil und dessen Konsequenzen im Gespräch mit energate.
energate: Das Bundesverfassungsgericht hält die verpflichtende Beteiligung von Kommunen und Anwohnerinnen und Anwohnern an Windparks in Mecklenburg-Vorpommern für rechtmäßig. Wie beurteilen Sie diese Entscheidung?
Lajer: Unabhängig von der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts stellen die Verpflichtungen des Bürger- und Gemeindenbeteiligungsgesetz weiterhin massive Eingriffe in die Umsetzung von Windparks dar. Andererseits hat sich das Bundesverfassungsgericht bei seiner Entscheidung von den aktuellen politischen Ereignissen, aber auch von den Gefahren des Klimawandels leiten lassen und diesen Aspekten die übergeordnete Bedeutung beigemessen.
Die Entscheidung ist daher dann zu begrüßen, wenn das Ziel des Klimaschutzes und der Unabhängigkeit von Energieimporten nicht nur zu Lasten der Betreiber wie im vorliegenden Fall, sondern auch zu deren Gunsten im Rahmen der Zulassung von Windenergievorhaben genauso konsequent herangezogen wird. Dazu haben sowohl die Gerichte als auch die Verwaltung hinreichend Möglichkeiten im Rahmen von summarischen Prüfungen, Abwägungsentscheidungen und des eingeräumten Ermessens.
energate: Windparkbetreiber sehen in dem Gesetz eine Teilenteignung. Ist das gerechtfertigt?
Lajer: Dass die Verpflichtungen des Bürger- und Gemeindenbeteiligungsgesetzes Eingriffe in die Grundrechte der Windparkbetreiber darstellen, hat das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich bestätigt. Die Berufsfreiheit der Betreiber wird verletzt, sie werden gegenüber anderen Steuerpflichtigen ungleich behandelt. Auch eine Enteignung liegt hier vor. Diese sah das Gericht jedoch von der Berufsfreiheit als dem sachnäheren Grundrecht verdrängt.
Die Prüfung der Grundrechtseingriffe erfolgt jedoch mehrstufig. So hat die Prüfung des Bundesverfassungsgerichts im Ergebnis ergeben, dass diese Eingriffe gerechtfertigt sind. Dabei hat das Gericht dem Klimaschutz und dem Ausbau der erneuerbaren Energien ein besonderes öffentliches Interesse beigemessen. Das Gericht hat aus dem Ziel des Beteiligungsgesetzes, die Akzeptanz von Windenergieanlagen zu fördern, abgeleitet, dass dadurch der Klimaschutz und die Unabhängigkeit von Energieexporten erreicht werden.
energate: Auf was müssen sich Windparkbetreiber jetzt einstellen?
Böhlmann-Balan: Windparkplaner in Mecklenburg-Vorpommern werden sicherlich bis auf Weiteres mit dem Gesetz leben müssen. Die ersten Anwendungsfälle befinden sich derzeit in Umsetzung, hieraus wird man viel lernen können. Auf die erste Rechtsprechung zu einzelnen Regelungen darf man gespannt sein. Allerdings ist dem Gesetz bei Lichte betrachtet bereits durch den vor rund einem Jahr geänderten § 1 Abs. 3 in der praktischen Handhabung der Schrecken genommen worden. Demnach kann die Behörde Ausnahmen zulassen, wenn eine anderweitige Beteiligung, insbesondere gemäß § 6 EEG 2021, verbindlich umgesetzt werden soll. Dies ermöglicht entsprechend, dem Beteiligungsgesetz auszuweichen. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass weder der Anlagenbetreiber noch die Gemeinde einen Anspruch auf Abschluss eines Zuwendungsvertrages nach § 6 EEG 2021 haben.
energate: Welche politischen Auswirkungen könnte das auf Beteiligungsmodelle in anderen Bundesländern haben?
Böhlmann-Balan: Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts betrifft nur das Bürger- und Gemeindenbeteiligungsgesetz in Mecklenburg-Vorpommern und ist auf andere Gesetze oder andere Bundesländer nicht übertragbar. Dass sich weitere Bundesländer im Nachgang zu dem Beschluss zu einem "Zwangs-Beteiligungsmodell" entscheiden werden, dürfte angesichts der zwischenzeitlichen Einführung von § 6 EEG 2021 einerseits und der Vielzahl der tatsächlich gelebten Bürgerbeteiligungsmodelle andererseits als eher unwahrscheinlich betrachtet werden.
Die Fragen stellte Katharina Johannsen.