Krefeld (energate) - Wie reagieren Stadtwerke vor Ort auf die Gasversorgungskrise? Im Interview zur Sommerserie "Der Energiesektor in der Gaspreiskrise" spricht Carsten Liedtke, Vorstandssprecher der Stadtwerke Krefeld (SWK), über alte und neue Brückentechnologien, Herausforderungen in der Energiepreiskrise und warum er einen Schutzschirm für Stadtwerke für sinnvoll hält.
energate: Herr Liedtke, mit Blick auf den Einmarsch Russlands in der Ukraine ist häufig die Rede von einer Zeitenwende. Ist die Zeitenwende in der Energieversorgung auch in Krefeld schon angekommen?
Liedtke: Der Begriff der Zeitenwende beschreibt die geopolitische Situation durchaus treffend, für die Lage der Energiewirtschaft finde ich ihn aber unpassend. Denn für die Energieversorgung ergibt sich keine komplett neue Situation. Vielmehr wird nun eine Beschleunigung dessen erforderlich, was ohnehin hätte unternommen werden müssen. Die energiepolitische Agenda hat sich um neue Aufgaben ergänzt, die insbesondere den Wärmemarkt betreffen. Wir haben immer kritisiert, dass die Energiewende bisher vor allem eine Stromwende war, jetzt müssen wir uns noch dringender um die Wärmewende kümmern.
energate: Im Zentrum der Debatte steht das Gas, das bislang noch in weiten Teilen aus Russland kommt. Wie soll es hier weitergehen?
Liedtke: In der Wahrnehmung mancher ist die Gasbrücke, die im Koalitionsvertrag noch bis in der 2040er Jahre reichen sollte, tatsächlich zu einem kleinen Steg geschrumpft. Da müssen wir aufpassen, dass wir in einer Panikreaktion nicht das Kind mit dem Bade ausschütten. Richtig ist: Wir müssen uns vom russischen Gas lösen, weil uns das politisch betrachtet in eine missliche Lage gebracht hat. Dennoch wird Gas mittelfristig ein wichtiger Energieträger bleiben. Das hat sich durch die politische Großwetterlage nicht geändert. Langfristig müssen wir natürlich schauen, welche Alternativen wir für Gas finden: Großwärmepumpen, Wasserstoff und so weiter. Aber das hilft uns kurzfristig nicht weiter.
energate: Von welchem Handlungsdruck sprechen Sie?
Liedtke: Druck kommt aus zwei Richtungen, zum einen sicherlich aus der Politik, die eine beschleunigte Abkehr von fossilen Brennstoffen - hier insbesondere Gas - anstrebt. Der Druck kommt auch von Verbrauchern, die getrieben von den extremen Preissteigerungen nach Alternativen suchen. Wir nehmen eine große Verunsicherung wahr.
energate: Woran machen Sie das fest?
Liedtke: Die Leute trauen sich fatalerweise nicht mehr, eine alte Ölheizung durch eine moderne Gasheizung zu ersetzen. Noch vor wenigen Monaten sind wir in Anträgen für neue Gas-Hausanschlüsse förmlich ertrunken. Inzwischen gehen bei uns kaum noch welche ein. Dieser Stillstand von Verbraucherseite ist gefährlich, denn der Heizungsbestand ist unverändert alt und sanierungsbedürftig. Und wir wissen ja, dass die alternativen Lösungen - Wärmepumpe und Fernwärme - nur für einen Teil der Kunden sinnvoll sind. Hinzu kommt: Wir sind nicht in der Lage, in kürzester Zeit zehntausenden von Kunden eine Wärmepumpe einzubauen. Im Ergebnis kommt die Wärmewende derzeit nahezu komplett zum Erliegen.
energate: Die Versorgungskrise äußert sich auch durch enorm hohe Handelspreise. Wie stark beschäftigt Sie dieses Thema?
Liedtke: Die hohen Handelspreise stellen uns über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg vor Herausforderungen. In der Beschaffung stellen sich Fragen, wann wir Mengen für 2024 und 2025 einkaufen und wo wir diese überhaupt herbekommen. Momentan haben wir einen fast nicht mehr liquiden Gasmarkt, insbesondere für Terminbeschaffungen. Dann haben wir in der Beschaffung immer noch ein Besicherungsthema, weil das Kontrahentenausfallrisiko im aktuellen Marktumfeld hoch ist. Auf der Netzseite beschäftigt uns aktuell massiv die potenzielle Abschaltung von Gaskunden für den Fall, dass die Notfallstufe eintritt.
Darauf müssen wir uns jetzt vorbereiten. Und auf der Vertriebsseite müssen wir unsere Akquisitionspreise laufend neu kalkulieren - teilweise mehrfach in der Woche. Im Geschäftskundenvertrieb sind wir froh, dass wir seit Längerem mit einem tranchenbasierten Produkt arbeiten, mit dem wir die Beschaffung in kleinere Teile zu verschiedenen Zeitpunkten stückeln. Das ist zurzeit das Produkt der Stunde, denn niemand käme zum jetzigen Zeitpunkt auf die Idee, die gesamten Energiemengen zu den aktuellen Kursen auf einen Schlag einzukaufen.
energate: Wie sehen Sie die Auswirkungen der jetzigen Situation auf die Erlössituation der Stadtwerke Krefeld?
Liedtke: Solange es der Regierung gelingt, die Gasmangellage an der Wurzel - also bei Uniper, VNG & Co. - zu packen und dort einzudämmen, sodass bestehende Lieferverträge aufrechterhalten werden, solange halte ich die Situation für uns Stadtwerke für beherrschbar. Den Einstieg der Bundesregierung bei Uniper halte ich für einen richtigen Schritt. Auch den Umlagemechanismus, mit der Mehrkosten der Ersatzeindeckung über eine Umlage auf alle Gaskunden verteilt werden, halte ich für sachgerecht und vernünftig. Denn die Kriegsfolgen sollten wir breit über alle Schultern verteilen. Trotzdem müssen wir mit den Preissteigerungen zurechtkommen. Das wird wirtschaftliche Herausforderungen für die Stadtwerke mit sich bringen. Dennoch halte ich das für verkraftbar, wenn die Politik an dieser Stelle nicht überschlägt.
energate: Was meinen Sie damit?
Liedtke: Zuletzt kam die Diskussion auf, Gas- und Stromsperren auszusetzen. Das darf natürlich so nicht einfach beschlossen werden, denn es muss jemanden geben, der unsere Lieferungen bezahlt. Falls es zu vermehrten Zahlungsausfällen kommt, was im aktuellen Marktumfeld nicht völlig aus der Luft gegriffen ist, dann können wir als Unternehmen das nicht allein tragen.
energate: In der politischen Diskussion ist auch ein Schutzschirm für Stadtwerke. Halten Sie ein solches Instrument für nötig und sinnvoll?
Liedtke: Ja, Stadtwerke sind als Unternehmen der Daseinsvorsorge unverzichtbar. Das allein ist in meinen Augen schon Grund genug, hier einen Schutzschirm aufzuspannen - und zwar für den Fall, dass die Dämme im Energiemarkt brechen. Wenn etwa Vorlieferanten die Erlaubnis bekommen hätten, über § 24 EnSiG die Verträge anzupassen, dann wären gravierende Marktverwerfungen auf uns zugekommen. Dann wären auch wir in der Position, dass wir bestehende Verträge anfassen und Preisgarantien aufkündigen müssten. Und das löst eine Kettenreaktion aus, die schnell ins Unkontrollierbare geht: Dann drohen Forderungsausfälle, Liquiditätsengpässe und zusätzliche Besicherungsprobleme. Ein solches Szenario gilt es zu vermeiden. Dafür braucht es einen solchen Schutzschirm. Wir dürfen nicht vergessen, dass Stadtwerke überwiegend im OTC-Handel tätig sind. Diese OTC-Handelsgeschäfte sind durch die Schutzmaßnahmen im EnSiG nicht abgedeckt.
energate: Wie sollte ein Rettungsschirm funktionieren?
Liedtke: Es muss ein einfaches Instrument sein. Ich könnte mir vorstellen, dass das Land über den Schirm die Beschaffungsaktivitäten ab einem bestimmten Zeitpunkt mit bestimmten Handelspartnern pauschal absichert. Dann wären die Stadtwerke weiterhin in der Lage, bei Banken Liquidität zu besorgen, die es braucht, um die Kostendifferenzen auszugleichen. Ich begrüße sehr, dass das Land NRW bereits Bereitschaft für ein solches Stützinstrument signalisiert hat.
Die Fragen stellte Rouben Bathke.