Leipzig (energate) - Die Energiemärkte sind zurzeit hochdynamisch. Nicht nur die Preise steigen, sondern auch die Volatilität ist hoch. Der Energiebörse EEX kommt das zugute, wie Peter Reitz, Vorstandsvorsitzender der EEX, im Interview mit energate deutlich machte.
energate: Wie reagieren die Handelsteilnehmer auf die gestiegenen Preise?
Peter Reitz: Vielfältig. Zum einen haben ja nicht nur die Preise angezogen. Sondern auch die Unsicherheit auf den Märkten hat stark zugenommen, das zeigt sich in einer anhaltend höheren Volatilität. Wir sehen vermehrt Preissprünge von einem Tag auf den anderen. Daraus steigt das Bedürfnis nach Sicherheit bei den Marktteilnehmern.
energate: Wie gehen die Marktteilnehmer damit um?
Reitz: Ihnen ist das hohe Risiko, welches der Ausfall eines Vertragspartners derzeit mit sich bringen könnte, sehr bewusst. In diesen außergewöhnlichen Zeiten verlagern viele Marktteilnehmer ihre Handelsaktivitäten daher vom außerbörslichen, ungeclearten Markt hin zur Börse und insbesondere ins Clearinghaus. Dieses bietet die Sicherheit, dass die Zahlungen und die Lieferungen tatsächlich erfolgen. Das Clearinghaus nimmt das Kreditausfallrisiko aus dem Markt. Diese Dienstleistung ist in unsicheren Zeiten besonders wichtig und daher besonders nachgefragt. In unseren Märkten haben wir insbesondere durch die Verschiebung aus dem außerbörslichen, ungeclearten Bereich sogar noch Zuwächse gesehen. So sind die EEX-Marktanteile am Gesamtmarkt, unter anderen in einer Reihe von Stromfutures deutlich gestiegen.
energate: Decken sich die Marktteilnehmer jetzt auch langfristiger ein?
Reitz: Das würde ich nicht als Trend festmachen. Es gibt Marktteilnehmer, die schon immer ihren Einkauf über die nächsten Jahre gestaffelt vorgenommen haben. Das passiert auch weiterhin. Ganz langfristiger Handel - man kann an der EEX ja bis zu zehn Jahre im Voraus handeln - findet in Krisenzeiten aber eher nicht statt. Die Händler beschränken sich auf das Kerngeschäft und die absehbaren Fälligkeiten über die nächsten zwei, drei Jahre. Wenn ihre Frage darauf abzielt, ob Unternehmen, die sich früher über den Spotmarkt eingedeckt haben, dies heute häufiger über Derivate machen: Das gibt es wahrscheinlich schon, aber das ist auch kein Rieseneffekt.
energate: Wenn die Preise steigen, steigen damit auch die zu hinterlegenden Sicherheitsleistungen, die Margins. Gibt es noch weitere Faktoren?
Reitz: Die Margins berechnen sich im Wesentlichen aus zwei Faktoren. Der eine ist die Höhe des Preises, also der tatsächliche Gegenwert der Position. Der zweite Faktor ist die Preisveränderung von Tag zu Tag. Wir müssen ja das Risiko abdecken, dass wenn ein Kontrahent ausfällt, wir dessen Position wieder glattstellen müssen im Markt. Wenn der Markt sehr konstant ist, dann ist das Risiko, dass wir deutlich andere Preise sehen, sehr gering. Bei der derzeitigen hohen Volatilität hingegen nicht. Im Moment sehen wir leider beides - sehr hohe Preislevel und sehr hohe Schwankungen. Das führt dazu, dass die Sicherheitsleistungen gestiegen sind.
energate: Viele Marktteilnehmer klagen derzeit über die hohen Margins. Können Sie diesen irgendwie entgegenkommen?
Reitz: Nein, das geht - auch aus regulatorischer Sicht - nicht. Wenn man Sicherheit haben will, dann hat diese auch ihren Preis. Nur so können wir die Sicherheit auch bieten. Wir beraten unsere Kunden, wie sie ihre Margin-Anforderungen optimieren können. Das hat zum Beispiel dazu geführt, dass die Volumina im Gasterminmarkt sich in den ersten fünf Monaten des Jahres gegenüber dem Vorjahreszeitraum mehr als verdreifacht haben. Der wesentliche Grund dafür ist, dass Kunden mit großen Strompositionen zunehmend auch ihre Gaspositionen an die Börse verlagern, weil unser Clearinghaus sich "nur" die Gesamtnettoposition anschaut. Das heißt, man kann beispielsweise seine Margins für Strom senken, indem man auch seine Gasposition mit in das Clearinghaus einbringt. Das haben in den letzten Monaten viele Kunden genutzt.
energate: Für Margins an der Börse gibt es mittlerweile KfW-Kredite. Das kommt Ihnen sicher zugute, oder?
Reitz: Das kommt zuallererst den Handelsteilnehmern zugute, ist aber eine sehr sinnvolle Initiative. Denn selbst für die Unternehmen, die vollständig abgesichert sind, weil sie sich im Voraus mit Rohstoffen eingedeckt und ihre Strommengen über Stromfutures verkauft haben, sind die erhöhten Liquiditätsanforderungen eine Herausforderung.
energate: Das BSI hat mehrfach aufgrund des Ukrainekriegs vor der gestiegenen Gefahr durch Cyberattacken gewarnt. Merken Sie auch bei sich im Unternehmen, dass die Angriffe häufiger und heftiger werden?
Reitz: Das ist schon seit längerem ein Trend, unabhängig vom Ukrainekrieg. Wir haben ein Expertenteam, das uns selbst auch immer wieder mit Angriffen von außen testet. Als Börse und Clearinghaus ist für uns IT-Sicherheit von höchster Wichtigkeit. Dafür haben wir die entsprechenden Teams und Prozesse in unserer Organisation in den letzten Jahren kontinuierlich verstärkt.
energate: Welche Entwicklungen erwarten Sie für die kommende Monate?
Reitz: Das ist schwierig zu sagen. Die bestehenden Trends werden sich durch die Krise sicher weiter verstärken und beschleunigen. Dazu gehört der Trend zum börslichen Clearing, aber auch die Bestrebungen von Verbrauchern nach mehr Autarkie, etwa durch eigene Erzeugungsanlagen. Und das Bestreben, erneuerbare Energie schneller auszubauen. Engpässe gibt es hierbei nicht aufgrund ausbleibender Investoren, sondern bei Flächen und Genehmigungen - das läuft noch zu langsam. Hinzu kommen Trends, an die man vorher nicht gedacht hat. Vor zwei Jahren waren die Diskussionen um LNG-Terminals mehr oder weniger gestorben, jetzt werden diese sehr schnell ans Netz gebracht.
energate: Haben Sie Wünsche an die Politik?
Reitz: Vor allem Anmerkungen, was nicht passieren sollten: direkte Markteingriffe in die Preisbildung. Das wäre absolut kontraproduktiv und würde größere Verwerfungen im Strommarkt hervorrufen und die unerwünschte Situation der hohen Preise sogar auf Dauer noch verstetigen. Eine Preisdeckelung könnte beispielsweise Investoren davon abhalten, neue Erzeugungskapazitäten in den Markt zu bringen. Man sollte - und das halte ich auch für sinnvoll - die Auswirkungen der hohen Preise abfedern, etwa, um soziale Verwerfungen zu vermeiden.
Das Interview führte Stefanie Dierks