Berlin (energate) - Der Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, Patrick Graichen, hat die uneingeschränkte Vollversorgung geschützter Kunden in Frage gestellt. Auch hier gebe es einen "Luxusbedarf", den man nicht zwingend befriedigen müsse, sagte er in einem Gespräch im Rahmen der Berliner Energietage. Bei den geschützten Kunden stelle sich die Frage, ob diese ihren bisherigen Gasverbrauch auch weiter in voller Höhe bekommen. Solche Maßnahmen sollten noch vor der Abschaltreihenfolge der Industrie umgesetzt werden, so Graichen. Denn auch die Abschaltungen der Industrie hätten Auswirkungen auf die Bürger, etwa wenn sie dadurch ihren Arbeitsplatz verlören. Als weitere Maßnahme nannte er, die Begrenzung der Raumtemperatur auf 19 Grad in öffentlichen Gebäuden auf alle Büros auszuweiten. In der am 24. August im Bundeskabinett verabschiedeten Energieeinsparverordnung sind bereits verschiedene Sparmaßnahmen enthalten, etwa ein Verbot für das Beheizen privater Pools (energate berichtete).
Weiter kündigte Graichen an, im Rahmen einer weiteren Novelle des Energiesicherungsgesetzes werde die Ampel-Koalition "alle Hemmnisse" für Biomethan abschaffen. Dazu gehörten Größenbeschränkungen und die Limitierung, wie viel Biomasse vor Ort gelagert werden kann. Kerstin Andreae, Vorsitzende der BDEW-Hauptgeschäftsführung, kommentierte dies nach der Veranstaltung erfreut: "Wir begrüßen die Ankündigung, alle bestehenden Hemmnisse zur Biogas-Nutzung abzubauen." Bis zum Jahr 2030 könnten in Deutschland nach Einschätzung des Verbandes pro Jahr 100 Mrd. kWh Biomethan erzeugt und ins Gasnetz eingespeist werden. Dies entspreche etwa einem Fünftel der Erdgasmenge, die Deutschland im vergangenen Jahr an russischem Erdgas verbraucht hat. Um die Biogaserzeugung zu erhöhen, hatte der Bund bereits die jährliche Maximalproduktion der Anlagen ausgesetzt. Laut einer aktuellen Studie reichen aber die bereits durchgeführten Maßnahmen noch nicht, um das Potenzial von Biogas auszuschöpfen.
Kernkraftwerke: Stresstest Ergebnis spätestens Anfang September
Der Staatssekretär äußerte sich auch zu einem möglichen Weiterbetrieb der verbliebenen drei deutschen Kernkraftwerke. Grundsätzlich könnten diese im ersten Quartal 2023 die Brennstäbe noch "auslutschen", so Graichen. Hier sei aber "nicht mehr viel zu holen", entsprechend könnten sie auch nicht viel Gas substituieren. Allerdings könnten die Kernkraftwerke an anderer Stelle noch mal "nützlich" werden. Dann nämlich, wenn der momentan durchgeführte Stresstest der Netzbetreiber zu dem Ergebnis komme, dass die Kernkraftwerke gebraucht werden, um das Netz zu stabilisieren. Der Stresstest solle Ende August/Anfang September vorliegen.
Angesichts steigender Kosten für Energie schloss Graichen auch einen Preisdeckel nicht aus. "Wir gucken uns alles ganz genau an. Hier wird nichts aus ideologischen Gründen grundsätzlich verworfen", antwortete Graichen auf eine entsprechende Frage. Möglich sei gleichfalls eine Änderung des Marktdesigns auf europäischer Ebene. Die hohen Preise seien ein "Riesenproblem", konstatierte er. Gleichzeitig wird sich das Preisniveau seiner Meinung nach wieder "normalisieren", und zwar, wenn LNG-Mengen ins Land strömten und die Energieeinsparungen wirkten. Mit den derzeitig hohen Preisen antizipierten die Marktteilnehmenden schon im Voraus einen möglichen vollständigen Ausfall von Nord Stream 1, erläuterte Graichen.
Graichen insgesamt optimistisch
Mit der "Dreifach-Strategie" der Bundesregierung könne Deutschland den Winter meistern, glaubt Graichen. Zu dieser Strategie gehören erstens die Ersatzbeschaffung von Erdgas, insbesondere über schwimmende LNG-Terminals. Zweitens müsse Gas substituiert werden, etwa durch Strom in Verbindung mit Wärmepumpen für den Wärmebedarf beziehungsweise mit Kohle und Öl zur Stromerzeugung. Drittens müsse Deutschland 15-20 Prozent Gas einsparen. Schon jetzt setzten Industrie und Kraftwerke 8-10 Prozent weniger Gas ein, führte Graichen aus. Gerade in der Industrie werde Erdgas häufig durch Erdöl ersetzt: "Da unternimmt die Industrie viel."
Trotzdem sieht er die aktuelle Energiekrise insgesamt als Chance. Sie werde den Wandel zu einer dekarbonisierten Welt beschleunigen, "auch wenn die nächsten 18 Monate hart werden". So würde dadurch der Ausbau der erneuerbaren Energien beschleunigt sowie der Umschwung zu grünem Wasserstoff. Zum Abschluss sagte er: "Ich bin fest davon überzeugt, die Energiekrise wird zum Booster für die Energiewende und damit auch für den Klimaschutz." /sd