Brüssel (energate) - Europa will sich mit Wasserstoff aus der Energieabhängigkeit befreien und beim Klimaschutz vorankommen. Im Interview mit energate spricht Jorgo Chatzimarkakis, Generalsekretär des Branchenverbandes Hydrogen Europe, über die Fortschritte bei der Umsetzung der EU-Wasserstoffstrategie, die Folgen des Ukraine-Krieges und Alternativen zur Elektrolyse.
energate: Herr Chatzimarkakis, vor zwei Jahren hat die EU-Kommission die Wasserstoffstrategie verabschiedet. Was ist seither passiert?
Chatzimarkakis: Weltweit ist eine Wasserstoffeuphorie ausgebrochen. Erst durch die Verabschiedung der EU-Wasserstoffstrategie haben viele andere Staaten überhaupt angefangen, sich mit dem Business Case Wasserstoff zu beschäftigten. Ein Beispiel sind die Erdölstaaten am Golf. Ein Schlüsselland ist Saudi-Arabien. Die sagen jetzt, dass sie komplett dekarbonisieren wollen. Das ist eine historische Verschiebung. Ganz anders verhält sich übrigens Russland. Die haben mit der Pyrolyse eine Technologie zur Wasserstoffherstellung zur Verfügung. Sie nutzen das aber nicht, weil sie Energie lieber als Waffe einsetzen wollen.
energate: Hat der Krieg in der Ukraine und die Reaktion darauf beim Wasserstoffhochlauf zu einer Beschleunigung geführt?
Chatzimarkakis: Der Krieg hat das Thema Wasserstoff noch einmal nach vorne katapultiert und noch sichtbarer gemacht. Es gab aber schon vorher eine wichtige Entwicklung, nämlich als Wirtschaftsminister Robert Habeck Ende 2021 den Startschuss für H2-Global gegeben hat, um weltweit Wasserstoff und Derivate anzukaufen. Als größtes Industrieland in der EU hat Deutschland hier natürlich Gewicht. Mittlerweile ist H2-Global international etabliert. Die EU kann daraus bei ihren Plänen für die Europäische Wasserstoffbank lernen.
energate: Laut den Ankündigungen von Kommissionschefin Ursula von der Leyen soll diese ein Budget von 3 Mrd. Euro zur Verfügung haben. Reicht das aus, um etwas zu bewirken?
Chatzimarkakis: Ja und nein. Natürlich sind 3 Mrd. Euro nicht viel. Zum Vergleich, ich war kürzlich in Indien. Dort will der zweitreichste Mensch der Welt, Gautam Adani, 50 Mrd. US-Dollar in grünen Wasserstoff investieren. Das zeigt, Indien will eine Wasserstoffmacht werden. Auf der anderen Seite können die 3 Mrd. Euro der Europäischen Wasserstoffbank durch weiteres öffentliches Geld gehebelt werden und vor allem eines bewirken: Das Risiko für Investoren in der Markthochlaufphase minimieren. Ich würde mich freuen, wenn wir bei der Wasserstoffbank von 3 Mrd. Euro pro Jahr sprechen würden. Es gibt aber noch ein anderes Thema, bei dem die Bank eine große Wirkung haben wird.
energate: Was meinen Sie?
Chatzimarkakis: Wir reden ja viel über die Nachhaltigkeit von Wasserstoff, aber die Frage ist doch, wer das kontrolliert. Die Bank wird dafür sorgen, dass gewisse Standards beim Wasserstoff eingehalten werden. Ihr kommt da international eine wichtige Funktion zu, ich glaube, der EU-Kommission ist das gar nicht so bewusst. Insofern ist das Potenzial größer als nur die 3 Mrd. Euro.
energate: Sie haben die Wasserstoffpläne von Indien angesprochen. Wie steht Europa denn im internationalen Vergleich da?
Chatzimarkakis: Wir waren international die ersten mit unseren Initiativen, aber nun besteht die Gefahr, dass wir den Anschluss verlieren. Nehmen Sie den Inflation Reduction Act der US-Regierung, durch den in den USA hergestellter Wasserstoff deutlich günstiger wird. In Indien heißt es, wir haben den grünen Wasserstoff und wir haben auch die Stahlproduktion. Darauf müssen wir reagieren.
energate: In der EU wird schon lange über die Kriterien für die Wasserproduktion, den sogenannten Delegated Act, gesprochen. Das EU-Parlament hat jetzt die Vorschläge der Kommission abgewiesen und eigene Punkte gemacht. Verlieren wir hier nicht Zeit?
Chatzimarkakis: Zunächst einmal, das Parlament hat auch Ziele beschrieben, nämlich dass in der EU 5,7 Prozent aller Kraftstoffe im Jahr 2030 wasserstoffbasiert und 50 Prozent des in der Industrie verbrauchten Wasserstoffes grün sein müssen. Allein dadurch entsteht eine Nachfrage von 10 Mio. Tonnen. Wichtig ist, dass diese Vorgaben verbindlich werden, denn dann weiß die Branche, was produziert werden muss.
energate: Streitpunkt bleibt aber der Delegated Act. Die EU-Kommission will nur Wasserstoff als grün einstufen, der mit Strom aus zusätzlich gebauten Erneuerbaren-Anlagen hergestellt wird.
Chatzimarkakis: Hydrogen Europa hat gemeinsam mit der Renewable Hydrogen Coalition einen Vorschlag gemacht, der einen flexiblen Einstieg ermöglichen soll. Bis 2028 könnte dann auch Wasserstoff aus bestehenden Anlagen die Kriterien erfüllen. Wir müssen ja sehen, dass wir immer mehr Erneuerbaren-Strom erzeugen und in den Netzen haben, wozu brauchen wir dann noch eine Nachweispflicht, die zusätzlichen Aufwand bedeutet. Bei der Elektromobilität haben Sie das auch nicht.
energate: Wann rechnen Sie mit einer Entscheidung beim Delegated Act?
Chatzimarkakis: Ich bin zuversichtlich, dass wir bald im Trilog zwischen EU-Parlament, Kommission und den Mitgliedsstaaten zu einer Lösung kommen. Wir dürfen nicht vergessen, es steht auch die UN-Klimakonferenz vor der Tür. Da will niemand mit leeren Händen dastehen.
energate: In Deutschland wurde lange Zeit über blauen Wasserstoff diskutiert. Nun sagt der Energiestaatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, Patrick Graichen, dass sich der Business Case dafür mit den steigenden Gaspreisen erledigt hat. Was meinen Sie?
Chatzimarkakis: Er hat da sicher einen Punkt. Wir sollten aber auch andere Technologien in den Blick nehmen, wie etwa die Pyrolyse. Wir dürfen nicht vergessen, dass es etwa in Osteuropa Länder gibt, die wenig Zugang zu erneuerbaren Energien haben. Die könnten Wasserstoff aus Atomstrom erzeugen, oder eben über Pyrolyse. Es gibt auch noch andere Verfahren, bei denen Methan und Bioabfälle genutzt werden, um Wasserstoff zu erzeugen. Es wird nicht bei der Elektrolyse bleiben.
Die Fragen stellte Karsten Wiedemann.