Wien/Graz (energate)- Energo ist laut Angaben der Unternehmensgründer ein Energiepool, der sich auf die gemeinschaftliche Anschaffung von Strom und Gas spezialisiert. Das Unternehmen betreut seit 2017 österreichweit tausende Privatpersonen, Kleinunternehmen und Hausverwaltungen. "Die extremen Auswirkungen der Preisexplosion am Energiemarkt werden die meisten Menschen erst nächstes Jahr spüren", erklärte Energo-Geschäftsführer Florian Kanzler gegenüber energate.
energate: Wie funktioniert ein Wechsel in die Grundversorgung?
Kanzler: Es gibt eine EU-Richtlinie, wonach schutzbedürftige Personen Anspruch auf eine Energie-Grundversorgung haben. In Österreich wurde die Grundversorgung bei Strom bundesweit im Elektrizitätswirtschaftsgesetz und bei Gas im Gaswirtschaftsgesetz geregelt. In beiden Gesetzen findet sich kein Verweis auf die "Schutzbedürftigkeit". Diese darf somit auch nicht geprüft werden und stellt keine Grundlage für eine Inanspruchnahme der Grundversorgung dar. Es gilt hier also ein uneingeschränktes Recht, dieses in Anspruch zu nehmen. Lediglich für Stromkunden wurden in den weiterführenden Landesgesetzblättern in 6 von 9 Bundesländern Einschränkungen getroffen.
Diese Einschränkungen beziehen sich aber ebenfalls nicht auf eine "Schutzbedürftigkeit" der Kunden. Man sollte sich aber auch in Bezug auf die EU-Richtlinie Gedanken über den Begriff machen. Von den Energielieferanten wird dies so ausgelegt, dass Kunden, die aktuell einen finanziellen Notstand aufweisen, "schutzbedürftig" wären. Ich denke, dass aufgrund der aktuellen Marktlage und der Tatsache, dass die Konsumenten hierauf keinerlei Einfluss nehmen können, bereits eine "Schutzbedürftigkeit" vorliegt, bevor sie alles verlieren und nicht erst danach. Beantragt werden kann die Grundversorgung bei jedem Lieferanten, der im jeweiligen Bundesland tätig ist.
energate: Auf welche Details müssen Kunden dabei achten?
Kanzler: Es muss auf sehr viele Details geachtet werden. Meiner Meinung nach ist es nicht sinnvoll, wenn sich Kunden ohne Marktkenntnis wahllos bei Energielieferanten um die Grundversorgung bemühen. Der Strommarkt und die Preismechanismen sind oft sehr komplex. Am stärksten betroffen sind Kundengruppen, die aktuell gezwungen sind teure Neuverträge abzuschließen. Hierbei handelt es sich um Kunden, die aktuell von ihren Versorgern gekündigt werden, deren Versorger in die Insolvenz schlittern, sowie jene, die vor einem Umzug oder Neueinzug stehen. Ein Ausweg könnte für betroffene Haushalte und Kleinunternehmen ein Wechsel in die Energie-Grundversorgung sein.
energate: Wenn es ein gesetzliches Recht auf eine Energie-Grundversorgung gibt, warum wehren sich Energieversorger so dagegen?
Kanzler: Der Widerstand ist mittlerweile, zumindest wenn wir die Anmeldungen durchführen, nicht mehr so groß. Dennoch werden nach wie vor oftmals "Prozesse sehr verkompliziert". Dazu zählen Vollmachten von Kunden, die nicht anerkannt werden, "willkürlicher" Schriftverkehr und lange Wartezeiten bis zum Vertragsabschluss. Da wir die Marktregeln und Prozesse sehr gut kennen, sind diese Probleme jedoch kurzfristig bewältigbar.
energate: Federt die Strompreisbremse Preissteigerungen ab?
Kanzler: Die Strompreisbremse funktioniert sehr gut für einen Haushalt mit ein bis zwei Personen, die einen durchschnittlichen Verbrauch von 2.900 kWh ausweisen, die gedeckelt werden. Nehmen wir aber als Beispiel eine Familie, die kürzlich in ein Fertigteilhaus oder in einen Neubau gezogen ist und mit einer Luft-Wärmepumpe heizt. Die haben schätzungsweise einen Jahresverbrauch bei Strom von 12.000 kWh. Die haben Jahreszahlungen von über 10.000 Euro und Vorschreibungen von fast 1.000 Euro im Monat. Wenn dann noch ein Kredit fürs Haus mit variablen Zinsen dazu kommt, können Sie sich ausrechnen, wie schnell die Leute ihr Eigentum wieder verlieren könnten. Wir sehen dieses Problem der hohen Tarife bei neuen Vertragsabschlüssen aktuell bei etwa 15 bis 20 Prozent aller österreichischen Haushalte. Es handelt sich also nicht um Einzelfälle.
energate: Können Sie ein konkretes Beispiel von einem Kleinunternehmen nennen, das von der Grundversorgung profitiert?
Kanzler: Ein Gastronomiebetrieb mit einem jährlichen Stromverbrauch von 42.000 kWh wurde von seinem ehemaligen Lieferanten gekündigt. Laut Neuvertrag mit einem Jahr Bindung sind 50 Cent/kWh Energie zu zahlen. Der Grundversorgungstarif beläuft sich auf 9,78 Cent/kWh. Die ersparte Differenz beträgt 17.000 Euro pro Jahr.
energate: Rechtsexperten warnten Energieversorger vor Klagewellen in Milliardenhöhe. Was passiert, wenn eine große Zahl von Kunden in die Grundversorgung wechselt? Ist das für Energieversorger eventuell existenzbedrohend?
Kanzler: Nein. Bei genauerer Betrachtung der gesetzlichen Lage wurden auch hierfür vom Gesetzgeber Möglichkeiten für die Energielieferanten geschaffen. Hinzu kommt, dass aufgrund der Strompreisgestaltung sehr viele Versorger in ihren Tochter- oder Schwestergesellschaften horrende Gewinne lukrieren. Wir sehen hier das Szenario, dass politisch unabhängige, private Versorger aus dem Markt verschwinden und viele Errungenschaften der Liberalisierung auf der Strecke bleiben. Existenzbedrohend ist die Situation leider für viele Kunden. Im Frühjahr und Sommer, teilweise auch jetzt noch, haben viele Lieferanten börsenabhängige Flex-Tarife angeboten, die dann auf 60 bis 70 Cent/kWh kletterten. Beim Wechselversuch der Kunden in andere Tarife pochen viele Lieferanten auf eine einjährige Bindung. Dieses Verhalten ist gesetzeswidrig und auch moralisch bedenklich. Hier wird aus der Unwissenheit der Kunden Kapital geschlagen.
energate: Was sind Ihre Prognosen für die Energiepreise?
Kanzler: Der Energiemarkt wird sich früher oder später wieder beruhigen. Die Preise werden zwar nicht auf bereits dagewesene Werte zurückfallen, aber doch deutlich nach unten gehen. Preissenkungen werden nicht so schnell weitergegeben werden wie Preiserhöhungen. Hier ist Vorsicht geboten. Unser Fokus liegt nicht darauf, dass Kunden jetzt schnell in die Grundversorgung wechseln. Für uns ist zentral, den Kunden durch diese Zeit zu helfen und gegebenenfalls die Versorger auch zu wechseln. Auch wird für unsere Kunden ein Beschaffungsprozess organisiert, um fallende Preise in Zeiten der Marktberuhigung schnell greifbar zu machen.
energate: Sie bereiten sich bereits seit Dezember auf den "Worst Case" vor. Welche Gründe gibt es für die Preisexplosion am Energiemarkt?
Kanzler: Den Angriffskrieg in der Ukraine hatten auch wir nicht auf dem Zettel. Wir haben jedoch bereits im Dezember Preisspitzen an der Strombörse von über 40 Cent/kWh beobachtet und gesehen was möglich ist. Neben der höheren Nachfrage durch den Wirtschaftsaufschwung nach den coronabedingten Lockdowns, einem knapperen Angebot durch den Krieg und die Transformation in Richtung erneuerbare Energien, haben auch Spekulanten den Markt für sich entdeckt. Früher gab es über ein ganzes Jahr Preisunterschiede von 50 Prozent an den Energiebörsen. Heuer konnten sie auf täglicher Basis noch größere Preissprünge beobachten.
Das Interview führte Irene Mayer-Kilani