Berlin (energate) - Damit die Industrie 2030 ihr Zwischenziel auf dem Weg zur Klimaneutralität erreicht, müssen die Unternehmen bereits jetzt umbauen. Prozesswärme etwa müssen künftig elektrische Anlagen liefern. Bis zum Jahr 2030 treibt das den Strombedarf der Industrie auf 228 TWh hoch, erklären die Forschungsinstitute, die Langfristszenarien im Auftrag des Wirtschaftsministeriums erstellt haben. Im Zielbild 2045 verbraucht die Industrie demnach 357 TWh Strom. In einem anderen Szenario, das stärker auf Wasserstoff setzt, verbrauchen der Sektor immerhin noch 217 TWh Strom. Der Bedarf an Wasserstoff wächst in diesem Szenario 2030 auf 29 TWh an, bis zum Jahr 2045 dann auf 215 TWh.
Der Energiehunger der Industrie bleibt damit ungebrochen. Zwar gehen die Studienautoren davon aus, dass die Unternehmen Material effizienter verwenden und über eine Kreislaufwirtschaft Gas als chemischer Grundstoff wiederverwertet wird. Auch die Nachfrage nach Produkten geht nach den Annahmen des Fraunhofer ISI zurück. Dennoch wächst die Wirtschaft weiter und mit der Batterieherstellung in Deutschland kommt ein neuer Verbraucher hinzu.
Im Jahr 2030 werde sich der Endenergieverbrauch der Industrie auf über 600 TWh Strom belaufen, prognostizieren die Szenarienersteller. Dafür haben sie angenommen, dass die Industrie keine Standorte aufgrund von Carbon Leakage ins Ausland verlegt. Werke lassen sie dort angesiedelt, wo diese auch heute stehen. Dass Unternehmen an innerdeutsche Orte umziehen, in denen es viele Erneuerbare gibt oder es unter einem anderen Regulierungsrahmen besonders günstige Strompreise, schließen die Forschenden für die Szenarien aus.
Wasserstoffmenge unterscheidet sich in Szenarien
Für die Stahlindustrie nimmt das Fraunhofer ISI eine geringere Nachfrage nach Rohstahl und Walzstahl an. Sekundärstahl gewinne im Sinne einer Kreislaufwirtschaft hingegen an Bedeutung. Ihre Prozesse stellen die Stahlwerke auf eine Direktreduktion von Eisenerz mit Wasserstoff um, übergangsweise komme Erdgas zum Einsatz. Wichtig dabei: Jeder jetzt noch aktive Hochofen müsse nach abgelaufener Lebensdauer durch eine Direktreduktionsanlage ersetzt werden.
Für die Zementindustrie geht das Fraunhofer ISI teilweise von einer Elektrifizierung aus. Auch andere Brennstoffe, Biomasse, Wasserstoff und grünes Methan ergänzen in den Zementwerken je nach Szenario Strom unterschiedlich stark. In der Grundstoffchemie könnten die Unternehmen Dampf elektrisch generieren, je nach Szenario kommen unterschiedlich viel Wasserstoff und andere grüne Gase hinzu. Bei zum Beispiel Ammoniak lohne sich die direkte Umstellung auf grünen Wasserstoff.
Umwidmung der Erdgasleitungen in CO2-Nutzung
Für eine klimaneutrale Industrie bis 2045 reichen Wasserstoff und eine Elektrifizierung allein nicht aus. Nach Ansicht des Fraunhofer-Instituts außerdem unerlässlich: CO2 stofflich verwerten und sogar einspeichern. CO2 werde zum Rohstoff für die Industrie, zum Beispiel für die Herstellung von Methanol auf Basis von Wasserstoff. Daraus ergibt sich die Möglichkeit, die heutigen Erdgasnetze umzuwidmen. In ihren Szenarien schlägt das Fraunhofer ISI ein CO2-Pipelinenetz entlang der Gasleitungen vor. Ein Teilumbau sei theoretisch möglich. Auch andere Bedingungen setzt das Institut für eine klimaneutrale Industrie voraus. Besonders wichtig: ein kräftiger Ausbau der erneuerbaren Energien.
In den vergangenen Jahren stagnierten die Treibhausgas-Emissionen aus der Industrie. Damit der Sektor seine Klimaziele erreicht, muss sich das nun ändern. Bis zum Jahr 2030 müssen Industriebetriebe im Schnitt ihre Emissionen um 35 Prozent gegenüber 2021 reduzieren. Das sind 63 Mio. Tonnen CO2-Äquivalente weniger. Im Jahr 2045 blieben noch 5 Prozent der heutigen Emissionen bestehen, so die Forschenden. An den Langfristszenarien für unter anderem Industrie, den Gebäude- und Verkehrssektor sowie den erneuerbaren Energien arbeiten neben dem Fraunhofer ISI auch die Beratungen Consentec und Ifeu sowie die Technische Universität Berlin (energate berichtete). /kj