Düsseldorf (energate) - Der Vertriebsmarkt steuert aktuell durch unruhiges Fahrwasser. Während viele Anbieter nach wie vor die Preisturbulenzen zu verarbeiten haben, gilt es nun, die politischen Preisbremsen organisatorisch umzusetzen. energate sprach mit Oliver Hummel, Vorstandsvorsitzender des Ökostromanbieters Naturstrom, über die Folgen der Strompreisbremse auf den Wettbewerb und die Herausforderungen im aktuellen Marktumfeld.
energate: Herr Hummel, während der Markt noch an der Umsetzung der Strompreisbremse laboriert, sinken die Handelspreise derzeit so stark, dass erste Anbieter inzwischen Preise für Neukunden unterhalb der Preisbremse anbieten. Hätten wir die Preisbremse am Ende gar nicht gebraucht?
Hummel: Die Strompreisbremse hat weiterhin ihre Berechtigung. Aktuell können die Händler die Mengen günstiger kaufen als in der Vergangenheit. Aber die meisten Marktteilnehmer haben sich ja bereits für das laufende Jahr eingedeckt. Die kurzfristig gefallenen Preise nutzen diesen Anbietern und insbesondere deren Bestandskunden also in der Preisgestaltung nicht. Grundsätzlich ist die Preisentwicklung bei den Endkundentarifen derzeit deutlich uneinheitlicher, als wir das aus Vorkrisenzeiten kennen. Parallel zu einigen Preissenkungen erhöhen manche Versorger auch im aktuellen Marktumfeld weiter die Preise, da die gestiegenen Kosten der letztjährigen Termingeschäfte erst mit Zeitversatz an die Kunden weitergegeben werden. Ohne die Preisbremse würden die enorm gestiegenen Marktpreise voll auf die Bestandskunden - und damit das Gros aller Kunden - durchschlagen. Denen ist also sehr wohl viel geholfen mit der Preisbremse.
energate: Bietet Naturstrom inzwischen - wie einige Mitbewerber - Neukundentarife unterhalb der Preisbremse an?
Hummel: Wir werden die Preise zum 1. April senken. Dann ist das Niveau der Preisbremse in Reichweite. Wir werden sie aber nicht unterbieten. Ich rechne damit, dass es bei einem großen Teil der Anbieter ähnlich sein wird.
energate: Die Preisbremse stellt die Branche vor allem wegen der kurzen Umsetzungsfristen vor große Herausforderungen. Wie sind Sie zurechtgekommen?
Hummel: Die Umsetzung hat tatsächlich zu viel Stress bei allen Beteiligten geführt - gerade zur Jahreswende. Das entsprechende Gesetz wurde ja erst Mitte Dezember verabschiedet. Man hätte aber die Kunden schon im November anschreiben müssen, um sie rechtzeitig zu informieren, was faktisch unmöglich war. Ende Februar müssen wir die Kunden laut Gesetz nun erneut informieren. Dabei muss man bedenken, dass es verschiedene Kundengruppen gibt, die unterschiedlich angeschrieben werden müssen. Hinzu kommt, dass wir Kunden mit Strom, Gas und auch Wärme beliefern, für jeden Bereich bringen die Preisbremsen unterschiedliche Aufgaben mit. Das ist in der Umsetzung überaus anspruchsvoll. Aber wir haben in den letzten zwölf Monaten viel gelernt und sind in Prozessen der Preisanpassung und der Kundenkommunikation viel schneller geworden. Wir können heute sagen, dass es von unserer Seite mit den Kundenanschreiben geklappt hat, aber der Stressfaktor war immens.
energate: Wie einverstanden sind Sie mit der inhaltlichen Ausgestaltung der Preisbremse?
Hummel: Ich hätte es - wie viele andere in der Branche auch - sinnvoller gefunden, die Komponente der Erlösabschöpfung als Steuer zu gestalten. Das hätte den entscheidenden Vorteil gehabt, dass der Staat die Gewinne aus dem Jahr 2022, die bei vielen Stromerzeugern tatsächlich hoch ausgefallen sind, viel besser und effizienter hätte abschöpfen können. Diese Chance hat der Gesetzgeber ohne große Not verpasst. Was er stattdessen geschaffen hat, ist eine sehr komplexe Regelung, die stark in die Beschaffung der Händler eingreift und einen hohen Umsetzungs- und Dokumentationsaufwand hervorruft.
energate: Die Gewinnabschöpfung trifft Sie als Naturstrom besonders, da Sie auf Eigenerzeugung setzen und diese weiter ausbauen wollen. Machen diese Pläne noch Sinn?
Hummel: Wir werden auch weiterhin unser Eigenerzeugungsportfolio ausbauen. Die Preisbremse ist zeitlich eng begrenzt, Wind- und Solarparks sind auf eine Laufzeit von 20 Jahren und mehr ausgelegt - da sehe ich keinen ernsthaften Konflikt. Im vergangenen Jahr haben wir rund 25 Prozent des an die Kunden gelieferten Stroms aus dem eigenen Anlagenpool beziehen können. Und so war es ja auch immer geplant: Ein wesentlicher Zweck der Eigenerzeugung ist es, uns unabhängiger von den Marktpreisen zu machen. Genau das ist nun leider kurzfristig aufgrund der Gewinnabschöpfung nicht mehr möglich, da wir den finanziellen Vorteil aus unserer Eigenerzeugung nicht an unsere Kunden weitergeben können.
energate: Was meinen Sie?
Hummel: Wir können die Strommengen aus unserem Bestandsportfolio zwar weiterhin nutzen, aber interne Bezugsverträge zwischen den Betreibergesellschaften und unserer Handelsgesellschaft werden bei der Erlösabschöpfung nicht berücksichtigt. Stattdessen werden die Erlöse der Betreibergesellschaften auf Basis des Monatsmarktwerts abgeschöpft. Damit können wir intern keine Strommengen unter dem Marktpreisniveau von unseren Anlagen an unsere Handelsgesellschaft weitergeben - zum Nachteil unserer Kunden. An dieser Stelle wirkt die Strompreisbremse ironischerweise eben nicht strompreissenkend. Wir haben im Gesetzgebungsverfahren auf diesen Umstand aufmerksam gemacht, um eine solche Regelung zu verhindern, aber zunächst erfolglos. Der Austausch hierzu geht weiter.
energate: Mit der Preisbremse schwindet der Preis - das bislang wichtigste Kriterium für die Anbieterwahl - als Differenzierungsmerkmal. Welche Auswirkungen hat das für Sie und den Wettbewerb?
Hummel: Das ist ja vor allem ein Thema für die aggressiven Billiganbieter im Markt, zu denen wir nicht zählen. Für uns sehe ich darin kein Problem. Wie beschrieben halte ich die Preisbremse vor dem Hintergrund der großen Preisunterschiede für Bestands- und Neukunden für richtig. Aber klar: Die Strompreisbremse schwächt den Wettbewerb ab. Ohne Preisbremse könnten Neukundentarife schon bald wieder viel günstiger als bestehende Verträge werden, wenn der derzeitige Trend der sinkenden Großhandelspreise anhält. Die enorme Diskrepanz, die hier womöglich entstünde, könnte zu einer regelrechten Wechselwelle im Markt führen ohne einen systemischen Nutzen. Dem wirkt die Preisbremse entgegen und das ist wohl auch gut so, damit nicht unseriöse Discountanbieter, die zu Beginn der Krise ihren Kunden gekündigt hatten, plötzlich wieder aus der Versenkung kommen, weil sie Morgenluft im Neukundengeschäft wittern.
energate: Insgesamt lässt sich aber sagen, dass das Vertriebsgeschäft zuletzt an Attraktivität eingebüßt hat. Machen Sie sich Sorgen um Ihr Brot- und Buttergeschäft?
Hummel: Wir gehen davon aus, dass sich der Markt wieder erholt. Aber klar ist auch: Die Unsicherheiten im Vertriebsgeschäft nehmen zu und die Bedeutung der Risikovorsorge wächst. Da stehen wir mit den Margin Calls aktuell vor einer großen Herausforderung. Die Zahlen zeigen ja, dass am Terminmarkt im Januar nicht einmal halb so viele Menge gehandelt wurde wie im Vorjahr. Viele Marktteilnehmer können inzwischen nicht mehr handeln, weil sie nicht mehr die Mittel haben, die erforderlichen Bürgschaften zu stellen. In dieser Situation bleibt ihnen nichts anderes übrig, als Energiemengen wieder zu verkaufen, um die Sicherheitsleistungen zu verringern. Das führt zu einer Verschiebung der Beschaffung vom Termin- in den Spotmarkt. So müssen die Marktteilnehmer voll ins Risiko gehen. Die Konsequenz: Die kurzfristigen Schwankungen im Energiemarkt kommen viel stärker beim Endkunden an als bisher, das Risiko von Insolvenzen einzelner Anbieter steigt. Das kann in Summe keiner wollen.
energate: Wie lässt sich Abhilfe schaffen?
Hummel: Viele im Markt haben sich ja bereits dazu geäußert und ein Bürgschaftsprogramm durch den Bund vorgeschlagen, das dieses Risiko absichert. Das erscheint mir sinnvoll. Es besteht hier auch kein großes Ausfallrisiko. Es geht vielmehr darum, die gewachsenen Marktstrukturen in Zeiten von Preisturbulenzen aufrechtzuerhalten. Wir dürfen nicht vergessen: Der Strommarkt kennt diese enormen Preisausschläge, wie sie zuletzt aufgetreten sind, aus der Vergangenheit nicht. Entsprechend sind die Instrumente zur Absicherung zwischen den Handelspartnern auch nicht darauf ausgerichtet.
energate: Glauben Sie, dass es vor diesem Hintergrund zu einer weiteren Marktbereinigung kommen wird?
Hummel: Das kann ich mir durchaus vorstellen, vor allem, wenn das Preisniveau weiter fällt. Dies betrifft vor allem kleinere Anbieter mit Kundenzahlen im vierstelligen Bereich. Für Unternehmen dieser Größenordnung ist die gesamte administrative Abwicklung der Preisbremsen und der im Moment anstehenden Kundenanschreiben eine immense Herausforderung. Da würde es mich nicht überraschen, wenn sich der der ein oder andere kleinere Anbieter zurückzieht und seinen Kundenstamm verkauft.
Das Interview führten Philip Akoto und Rouben Bathke.