Wien (energate) - In einem aufsehenerregenden Urteil hat das Handelsgericht Wien ausgesprochen, dass die von der Verbund AG verwendeten Preisanpassungsklauseln rechtswidrig sind. Die Entscheidung hat das Potenzial, den Endkundenmarkt durchzurütteln.
Ein Gastkommentar von Florian Stangl, auf Energierecht spezialisierter Rechtsanwalt bei der Kanzlei NHP in Wien.
In einem aufsehenerregenden Urteil hat das Handelsgericht (HG) Wien ausgesprochen, dass die von der Verbund AG verwendeten Preisanpassungsklauseln rechtswidrig sind. Der energiewirtschaftlich visierte Beobachter mag darin aufs Erste keine Besonderheit erblicken, sind doch vor nicht allzu langer Zeit diverse Indexierungsklauseln in Stromlieferverträgen vom OGH für ungültig erklärt worden, was schließlich zu der Novellierung des § 80 ElWOG geführt hat. Die nun vorliegende Entscheidung ist aber anders; sie hat das Potenzial - sollte ihre Begründung denn auch von der "Instanz" mitgetragen werden -, den Endkundenmarkt durchzurütteln.
"HG Wien erachtete Preisanpassungsklausel als unzulässig"
Aber von Anfang an: Der VKI bemängelte die in den AGB der Verbund AG enthaltene Indexierung des Strom-Arbeitspreises für ein Produkt, das mit "100 Prozent Wasserkraft" beworben wurde, entsprechend dem Österreichischen Strompreisindex (ÖSPI). Das HG Wien erachtete die Preisanpassungsklausel als überraschend und damit unzulässig; die Kunden mussten - kurz zusammengefasst - im konkreten Vertragskontext nicht mit diesem Inhalt rechnen. Kann man so sehen (muss man aber nicht).
Geschenkt. Nicht mit ein paar vertragsgestalterischen Glättungen wird man jedoch einem anderen, vom HG Wien postulierten Erfordernis beikommen: Steigende Börsenpreise seien keine legitimen "maßgebenden Umstände" iSd § 80 Abs. 2a ElWOG, die eine automatische Änderung des vertraglichen Entgelts (nach unten oder oben!) rechtfertigen könnten. Die zu wahrende "subjektive Äquivalenz" eines Vertrages verhindere es, dass ein Versorger mit Eigenerzeugungsportfolio den Strompreis an den allgemeinen Marktpreis knüpft. "Zufallsgewinne" aufgrund des Gaspreis-getriebenen Börsenpreises für Strom dürfe es bei der Wasserkrafterzeugung aufgrund der geringeren Gestehungskosten nicht geben.
"Rolle der Verbund AG als Vollversorgerin"
Was im ersten Moment durchaus nachvollziehbar klingt (warum soll der Preis für Wasserkraftstrom vom Gaspreis abhängen?), lässt sich bei näherer Betrachtung mit dem liberalisierten Strommarkt und den energiewirtschaftlichen Realitäten kaum in Einklang bringen: Die Verbund AG tritt gegenüber ihren Kunden als Vollversorgerin auf. Es muss also immer dann Strom geliefert werden, wenn die Waschmaschine eingeschaltet oder das E-Auto angesteckt wird. Dass in vielen dieser Momente der Bedarf aller Kunden nicht mittels der eigenen Erzeugungsanlagen gedeckt werden kann und somit ein Zukauf an der Strombörse zu erfolgen hat, scheint das HG Wien nicht zu beachten.
"Versorger würden auf Eigenerzeugung verzichten"
Bedacht werden sollte weiters, dass diese Judikatur (so sie denn von der wohl angerufenen nächsten Instanz aufrechterhalten wird) wohl kaum die Situation der Verbraucher:innen verbessern würde. Ökostromerzeuger würden künftig nur mehr an nicht mit ihnen verbundene Stromhändler verkaufen, Versorger auf die Eigenerzeugung verzichten und den Strom an den Börsen samt grünen Herkunftsnachweisen kaufen - fertig ist das "grün gemascherlte" Ökostromprodukt für das - in völligem Einklang mit den Ableitungen des HG Wien! - problemlos eine ÖSPI-Indexierung vereinbart werden dürfte. Oder noch einfacher: Die Stromlieferverträge werden gekündigt und zu neuen, höheren Konditionen abgeschlossen.
"Beschränkung würde der Energiewende schaden"
Dass übermäßig hohe Strompreise ein sozialpolitisches Problem darstellen und entsprechend zu adressieren sind, ist nicht in Zweifel zu ziehen. Die entsprechenden Maßnahmen zur Abfederung von Überbelastungen werden auf nationaler Ebene gesetzt - und im Übrigen mittels Übergewinnsteuer durch die Ökostromerzeuger maßgeblich mitfinanziert. Auf Unionsebene tüftelt man an der Adaptierung des Strommarktdesigns. Eine zusätzliche, im Wesentlichen nur Versorger mit grüner Eigenerzeugung treffende Beschränkung der Vertragsfreiheit würde meines Erachtens mehr der Energiewende schaden, als Vorteile für einzelne Abnehmer bringen.