Düsseldorf (energate) - Holger Kreetz ist seit dem 1. März im Vorstand von Uniper für das operative Geschäft und damit auch für die Transformation des Unternehmens verantwortlich. In seinem ersten Interview in neuer Position spricht er über die Pläne Unipers am Standort Wilhelmshaven, die anstehende Transformation des Unternehmens sowie die Rolle des Bundes als Eigner des Unternehmens.
energate: Herr Kreetz, Sie treten den Posten als Chief Operating Officer, COO, von Uniper in einer Zeit des Umbruchs an. Der Vorstand von Uniper findet sich gerade neu. Der Bund als Eigner bringt auch Veränderungen mit und der Transformationsdruck ist ohnehin groß. Wo setzen Sie in diesem Spannungsfeld Ihre Prioritäten?
Kreetz: Ich sehe vor allem zwei Prioritäten: Unsere wichtigste Aufgabe ist, mit unserem Bestandsportfolio die Versorgungssicherheit in Deutschland und Europa sicherzustellen. Das tun wir etwa mit dem neuen LNG-Terminal in Wilhelmshaven, mit unserem Gasspeichergeschäft und mit mehr als 2.000 MW an Kraftwerken, die wir aus der Reserve zurück in den Markt geholt haben. Die zweite Aufgabe ist, die grüne Transformation des Unternehmens fortzuschreiben. Wir wollen bis 2035 die CO2-Emissionen auf null herunterfahren und unser Portfolio komplett dekarbonisieren. Das ist eine Riesenherausforderung. Daneben sehe ich eine dritte interne Aufgabe: Ruhe reinbringen in das Unternehmen und in das Umfeld. 2022 war ja durchaus ein disruptives Jahr - für Uniper, aber auch für die gesamte Gesellschaft.
energate: Sie haben im Dezember in Wilhelmshaven das erste LNG-Terminal Deutschlands in Betrieb genommen. Wie fällt nach den ersten Wochen Betrieb Ihr Zwischenfazit aus?
Kreetz: Die ersten Wochen und Monate sind besser gelaufen, als wir das erwartet haben. Bei großen Infrastrukturprojekten rechnet man ja durchaus mit Kinderkrankheiten. Tatsächlich verläuft der Betrieb in Wilhelmshaven bislang nahezu störungsfrei. Wir haben am 15. Dezember das Floating Terminal, die "Höegh Esperanza", in Empfang genommen und ein paar Tage später haben wir das erste Gas ins deutsche Netz eingespeist. Seitdem legt alle sieben bis acht Tage ein neuer LNG-Tanker an, der genug Gas für 50.000 bis 80.000 Haushalte mitbringt. Das sind große Mengen, die einen zentralen Beitrag dazu geleistet haben, dass wir gut durch den Winter gekommen sind.
energate: Zuletzt ist eine Debatte entstanden, dass die geplante LNG-Infrastruktur in Deutschland womöglich überdimensioniert ist. Wie schauen Sie auf das Thema?
Kreetz: In meinen Augen ist die gesamte Diskussion nicht zielführend. Wir haben gerade erst erlebt, dass es uns nur durch die schnelle Errichtung neuer LNG-Terminals gelungen ist, einen nationalen Gasnotstand zu verhindern. Hinzu kommt, dass wir noch keine Entwarnung geben sollten. Es gilt auch, den nächsten Winter gut zu überstehen. Da werden auch die anderen Terminals, die sich noch in der Planung oder im Bau befinden, einen wichtigen Beitrag leisten. Zudem muss man sehen, dass wir eine flexible Infrastruktur errichten. Wir reden bei den Regasifizierungseinheiten, den Floating Storage and Regasification Units, ja von Schiffen, die an ihren Standorten liegen, solange sie gebraucht werden. Danach fahren sie auch wieder weg. Die gesamte Onshore-Infrastruktur wird hingegen Wasserstoff-ready geplant, sodass wir sie auch nach dem Switch von Erdgas zu Wasserstoff nutzen können.
energate: Wann kommt der Switch von LNG zu Wasserstoff und seinen Derivaten für Ihren Standort in Wilhelmshaven?
Kreetz: Die "Höegh Esperanza" ist durch den Bund für zehn Jahre gechartert. Das Terminal steht uns also bis Ende 2032 für den Gasimport zur Verfügung, falls wir es so lange benötigen. Parallel und unabhängig davon planen wir in Wilhelmshaven ein großes Importterminal für Ammoniak. Gleichzeitig wollen wir einen Großelektrolyseur von bis zu 1.000 MW Kapazität errichten, der aus Offshore-Strom grünen Wasserstoff produziert. Beides zusammen kann bis 2030 10 bis 20 Prozent der Wasserstoffmengen, die wir dann in Deutschland benötigen, produzieren und damit einen signifikanten Beitrag zur Wasserstoffversorgung leisten. Darüber hinaus sind durch andere Akteure weitere Projekte am Standort Wilhelmshaven geplant, sodass am Ende ein Infrastruktur-Hub für Wasserstoff und seine Derivate in einer neuartigen Dimension entsteht.
energate: Wann wird der erste Wasserstoff in Wilhelmshaven ankommen?
Kreetz: Unsere Planungen sehen vor, dass wir in der zweiten Hälfte dieser Dekade - also 2026 oder 2027 - die ersten Investitionsentscheidungen treffen werden und dann ein bis zwei Jahre später in Betrieb gehen. Das heißt, der erste grüne Wasserstoff wird noch vor 2030 in Wilhelmshaven anlanden, aber auch vor Ort erzeugt. Wir glauben, dass wir für beide Projekte, Import wie Elektrolyse, Kunden für den grünen Wasserstoff finden werden, weil spätestens in den 2030er Jahren die Nachfrage nach grünem Wasserstoff massiv anziehen wird.
energate: Wo wird der Wasserstoff für den Import herkommen?
Kreetz: Wir haben als Uniper mehr als zehn Vorverträge mit potenziellen Lieferanten für grünes Ammoniak abgeschlossen. Das reicht vom nordamerikanischen Kontinent über Nordafrika und den Nahen Osten bis nach Nordeuropa. Das zeigt zum einen, wie weit die Diversifizierung der Bezugsquellen schon fortgeschritten ist, zum anderen, wie groß der Markt an potenziellen Lieferanten und Herkunftsländern global ist. National und international gibt es bereits zahlreiche Uniper-Projekte, die die Grundlage dafür bilden, Wasserstoff zukünftig im großskalierten Maßstab als Energieträger nutzen zu können.
energate: Die Verstaatlichung von Uniper hatte zuletzt Fantasien beflügelt, dass der Bund seine neuen Töchter, Uniper und Sefe, einsetzen könne, um den Wasserstoffhochlauf zu beschleunigen und zu steuern. Ist das für Sie ein Thema?
Kreetz: Sie sprechen ein Diskussionspapier an, das die Boston Consulting Group für den Bund erarbeitet hat und das kürzlich Bestandteil medialer Berichterstattung war. Das war nicht unser Papier und spiegelt auch nicht unsere Positionen wider. Deshalb würde ich es auch nicht kommentieren wollen.
energate: Unabhängig davon steht doch im Raum, dass Uniper künftig im Energiemarkt als Vehikel der Bundesregierung agieren könnte. Ist das ein Szenario, mit dem Sie sich anfreunden können?
Kreetz: Zunächst einmal sind wir sehr dankbar dafür, dass der Bund uns im vergangenen Jahr aus dieser massiven Finanznot herausgeholfen hat. Aber wahr ist auch: Wir haben uns nie gewünscht, ein Staatsunternehmen zu sein. Mein Eindruck ist auch, dass es gar nicht im staatlichen Interesse liegt, Uniper langfristig als Beteiligung zu halten. Darüber hinaus ist es auch eine Auflage der EU, dass Uniper bis 2028 wieder privatisiert wird.
energate: Uniper ist erst vor wenigen Monaten nur dank staatlicher Hilfe der Insolvenz entronnen. Haben Sie überhaupt die Mittel, um einen Zukunftsmarkt wie Wasserstoff zu besetzen? Es besteht immerhin enormer Investitionsbedarf.
Kreetz: Es geht um organische Transformation. Uniper hat ein starkes Portfolio und ich bin überzeugt, dass wir allein durch operative Erträge aus unserem bestehenden Geschäft ausreichend Mittel in die Hand nehmen können, um unsere Transformation zu bewältigen. Konkret heißt das beispielhaft: Wir machen aus Kohlekraftwerken Wasserstoff-Hubs, wir rüsten unsere Gasspeicher zu Wasserstoffspeichern um. Bei Wasserstoff geht es nicht um heute oder morgen, sondern um eine langfristige Investitionsperspektive. Da bin ich optimistisch, dass wir uns eine gute Position im Markt erarbeiten können.
energate: Zuletzt kam aus der Branche Kritik, dass die gesamte Entwicklung des Wasserstoffsektors zu langsam vonstattengehe. Teilen Sie die Einschätzung?
Kreetz: Wir sind tatsächlich an vielen Stellen in Deutschland bisher zu langsam. Nehmen wir als Beispiel die EU-Richtlinie für erneuerbare Energie RED II, die wichtige Leitplanken für die Wasserstofferzeugung setzt. Nach endlosen Diskussionen ist die Richtlinie endlich Mitte Februar auf den Weg gebracht worden. Der gesamte Prozess hat viel zu lange gedauert und den Markt gehemmt. Ich würde mir manchmal pragmatischere Lösungen wünschen, die Raum für Optimierungen lassen. Aber wir haben in der Versorgungskrise im letzten Jahr gezeigt, dass Dinge auch schnell gehen können, wenn es sein muss. Wir müssen nun die bei den LNG-Terminals gelernte, neue Deutschland-Geschwindigkeit und die Entschlossenheit auf grüne Technologien übersetzen. Dann gelingt uns nicht nur der Wasserstoffhochlauf, sondern auch die Bewältigung der Klimakrise.
Das Interview führte Rouben Bathke.